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                      |  | ZELTSchriften
            Vol.3, Nr. 2 
            -5; 
            Herbst 2004
            
             
            
            
              Landschaftsinterpretation
            untertage – 
            
                
            Das
            Projekt Einhornhöhle  bei Scharzfeld im Südharz
                
            
                
             von
            
            
             Friedhart
            Knolle, Ralf Nielbock, Firouz Vladi
            
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           |  
 |  |  | Landschaftsinterpretation
            untertage – wie das?
            
             
            
            „Landschaftsinterpretation
            ist die gezielte Profilierung und Nutzung lokaler Ressourcen mit
            Hilfe sanfter touristischer Erlebnisangebote“ – so das
            Selbstverständnis von ZELT (www.zelt.de). Dass „Landschaft“
            dabei nicht immer nur die Natur oberhalb der Erdoberfläche sein
            muss, sei nachfolgend am Beispiel einer Harzer Schauhöhle
            demonstriert. Gerade in der Einhornhöhle bei Scharzfeld am Südharz,
            die wie keine andere Schauhöhle Norddeutschlands die
            Interpretationsaspekte „Natur“ und „Kultur“ verbindet, wie
            wir sehen werden, kann die interpretative Synergie dieser beiden Zugänge
            hervorragend demonstriert werden. Aus Naturschutzgründen sollte
            sich sich die untertägige Landschaftsinterpretation jedoch auf die
            der breiten Öffentlichkeit zugänglichen Schauhöhlen beschränken
            – auch dieses ist ein wichtiger Teil der notwendigen Selbstbeschränkung
            in unserem Fach. Dass die Entwicklung interpretativer Techniken für
            die Schauhöhlen nicht nur des Harzes dringend notwendig ist, zeigt
            die Praxis bei fast jedem Höhlenbesuch in Mitteleuropa immer wieder
            – außer oft schlecht herübergebrachter Laiengeologie und Märchen
            und Sagen um mehr oder weniger kitschig fehlinterpretierte
            Tropfsteine haben die allermeisten Schauhöhlen leider wenig zu
            bieten. Ein breites Arbeitsfeld für die Landschaftsinterpretation!
             
             
 Die
            Einhornhöhle im Südharz: Geotop, Biotop und Archäotop
            
            
            
             Die
            Einhornhöhle ist ein bekanntes Geotop, Natur- und Kulturdenkmal
            sowie die größte Besucherhöhle im Westharz. Die Höhle befindet
            sich etwa 1,5 km nördlich von Herzberg-Scharzfeld im Landkreis
            Osterode am Harz und hat eine begehbare Gesamtganglänge von über
            600 m. Entlang des ca. 270 m langen Führungsweges reihen sich
            mehrere große Hallen und Dome aneinander, die durch niedrige Gänge
            verbunden sind. Gerichtete Deckenklüfte zeigen den Weg durch die Höhle.
            Im Südwesten der Höhle, in der sog. Blauen Grotte, befinden sich
            zwei Deckeneinstürze, die einzigen heute noch vorhandenen natürlichen
            Eingänge zur Höhle. 
            
            
            
             Die
            Höhlenforschungen um die vorletzte Jahrhundertwende hatten das
            Ziel, den "diluvialen Menschen" (= Mensch des
            Eiszeitalters) zu finden. Dies gelang erst 1985 mit dem Fund von
            Steinwerkzeugen aus der Altsteinzeit. Die Ausgrabungen 1985 - 1989
            ergaben, dass die Höhle vor mehr als 100.000 Jahren über lange
            Zeiträume von Neandertalern besiedelt war. 
            
            
            
             Erst
            allmählich kristallisiert sich der Gesamteindruck von Zeit und
            Raum in der Einhornhöhle heraus. Nach den neuen Forschungen können
            wir die wahren Dimensionen und die große interdisziplinäre
            wissenschaftliche Bedeutung dieses Geotops ermessen. Die Höhle
            bietet neben den in ihrer Zeitkontinuität herausragenden 
            kulturgeschichtlichen Aspekten die einmalige Gelegenheit,
            anhand der Höhlenfauna vielseitige Auskunft über die hiesige
            tierische Lebewelt vom jüngeren Eiszeitalter bis zur Gegenwart zu
            erhalten. 
            
              Um diesen höhlenspezifischen
            Fundus der Öffentlichkeit nahe zu bringen, wurde 2002 von Höhlenforschern 
            und Geowissenschaftlern der 
            Verein "Gesellschaft Unicornu fossile e.V." gegründet,
            der die Höhle vom Eigentümer, der Realgemeinde Scharzfeld,
            anpachtete. Die Neukonzeption der Höhle dieses Vereins steht unter
            dem Motto „Geotop – Biotop – Natur- und Kulturdenkmal 
            Einhornhöhle“. Neben Maßnahmen zum geotopgerechten Umgang
            mit der Höhle und ihrer Umgebung 
            geht es aber auch darum, dass künftige Forschungen vor Ort
            im Dialog mit der Öffentlichkeit durchgeführt werden. Die neue Präsentationsart
            der Höhle und insbesondere die Höhlenführungen neuen Typs, die
            sich zunehmend an den Methoden der Interpretation orientieren, wurde
            von den Besuchern der Saison 2003 bereits sehr positiv angenommen.
 Um
            das touristische Angebot weiter zu verbessern, wurde zum
            Saisonbeginn im April 2004 die neue Höhlenbaude „Haus Einhorn“
            mit Gaststätte, Kiosk und Höhleninfo eröffnet.
             
             
            
            
             |  |  | Neandertaler
            in der Einhornhöhle 
            
            
            
             Die
            ersten wissenschaftlichen Grabungen in der Einhornhöhle, vom
            bekannten Berliner Arzt, Pathologen und Urgeschichtler Rudolf
            Virchow ab 1872 durchgeführt, hatten bereits das erklärte
            Ziel, Spuren und Hinterlassenschaften des eiszeitlichen Menschen zu
            finden. Diese und auch die nachfolgenden Ausgrabungen und
            Untersuchungen blieben leider erfolglos. Der damalige Direktor des
            Provinzialmuseums Hannover (Landesmuseum), Karl-Hermann
            Jacob-Friesen, hatte bereits die richtige Vermutung und grub
            sich 1925/27 in dem später nach ihm benannten Jacob-Friesen-Gang
            von der Höhle ausgehend durch eiszeitliche Sedimente eines bis
            unter die Decke verfüllten Ganges in Richtung vermuteter ehemaliger
            Tagesöffnung. Leider fand er weder den verschütteten Eingang noch
            Beweise einer steinzeitlichen Besiedlung. Er schuf damit allerdings,
            ohne es zu ahnen, die Voraussetzungen für die späteren Funde.
            
            
            
             Im
            Jacob-Friesen-Gang der Einhornhöhle wurden 1985 unerwartet mehrere
            mittelpaläolithische (= mittlere Altsteinzeit) Artefakte
            gefunden, darunter ein präparierter Kern. Es erfolgte bis 1989 eine
            gemeinsame Grabungskampagne der TU Clausthal 
            mit dem Landesmuseum Hannover und anderen Institutionen
            sowohl in der Höhle als auch außerhalb. Es konnten wesentliche
            Erkenntnisse über die altsteinzeitliche Besiedlung und die
            Sedimentation gewonnen werden - die gesamte Sedimentfüllung des
            „Ganges“ ist von einem heute verschütteten, ehemals sicher über
            20 m  hohen
            Höhlenportal mit Abris und Vorplatz in die Höhle gelangt. Erst im
            Laufe von Jahrzehntausenden wuchs das Sedimentpaket an und der Gang,
            der in Wirklichkeit eine verfüllte Halle ist, wurde unpassierbar.
            In allen Grabungsstellen wurden Steinartefakte gefunden, in oberen
            Schichten auch jüngeres Material. Der Nachweis der Anwesenheit des
            „Urmenschen“ in der Einhornhöhle war gelungen! 
            
             |  |  | Die
            bisherigen Absolutdatierungen, die Faunenzusammensetzung der
            Tierknochenfunde  und ihre technologischen Kennzeichen deuten auf eine
            zeitlichen Stellung der Artefakte von der mittleren Weichselkaltzeit
            bis in die Eem-Warmzeit (Maximum vor ca. 120.000 Jahren), d.h. in
            den Sedimenten spiegelt sich eine Abfolge der Besiedlung der Höhle
            über viele Jahrzehntausende wieder. Die Verfertiger der Steinwerkzeuge
            waren somit Neandertaler, menschliche Knochenfunde fehlen zur
            eindeutigen Bestätigung bislang aber noch.
 |   |  |  | Die
            Neandertaler 
            müssen über lange Zeiträume die Höhle immer wieder
            aufgesucht haben bzw. war das damalige Höhlenportal ein über viele 
            Generationen genutzter Aufenthaltsort. Die Fundstreuung
            und die Vielzahl kleiner und kleinster spitzkantiger Absplisse zeigt
            zudem an, dass hier Steinwerkzeug über lange Zeiträume vor Ort
            hergestellt wurde. Die Einhornhöhle war somit auch eine
            „Steinwerkstatt“ des Neandertalers. 
            
            
            
             Zur
            Herstellung benutzte er überwiegend Harzgesteine aus der näheren
            Umgebung (Quarzite, Grauwacken, Kieselschiefer und Hornfelse).
            Einige Rohlinge brachte er allerdings auch aus größerer Entfernung
            mit: Bruchstücke des im Südharz nicht vorkommenden baltischen
            Feuersteins. Das für die Bearbeitung relativ schlechte Rohmaterial
            mit seiner Klüftigkeit und groben Körnung verhindert eine ideale
            Ausbildung von Schlag- und Bruchformen, wie sie vom Feuerstein und
            somit von anderen Fundstellen bekannt ist. 
            
            
            
             Das
            Einhornhöhlenmaterial sieht etwas unscheinbar aus. Dafür hat diese
            Fundstelle allerdings die Besonderheit der langen zeitlichen Dauer
            der Begehung durch den eiszeitlichen Menschen. Erwähnenswert sind
            ferner Hinweise auf Feuergebrauch. In den gleichen Schichten wie die
            Steinartefakte wurden auch zahlreiche Knochen von Höhlenbären
            geborgen. So verlockend es wäre, sie als Jagdbeutereste des
            Menschen zu deuten, so entschieden muss betont werden, dass zur Zeit
            keine Hinweise auf einen solchen Zusammenhang der Anwesenheit von
            Mensch und Bär vorliegen.
            
            
            
             Zum
            bisherigen Forschungsstand ist allerdings auch zu bedenken, dass
            erst ein verschwindend geringer Anteil der Sedimente ergraben wurde.
            Uns ist heute nicht einmal 1/1000 des Inhaltes dieses Höhlenteiles
            bekannt!
            
            
            
              
            
             Spuren
            des nacheiszeitlichen Menschen
            
            
            
             Es
            gibt auch Spuren des nacheiszeitlichen Menschen: Die Nutzung der
            Einhornhöhle in der Nacheiszeit ist im Bereich der Blauen Grotte
            durch archäologische Funde in das 4. Jahrtausend v.u.Z. datiert. Es
            handelt sich dabei um mehrere kleine, „Dechsel“ genannte
            Steinbeile aus der Zeit der ersten Bauern. Das Bruchstück einer
            Streitaxt gehört an das Ende dieser Zeit um 2000 Jahre v.u.Z. Aber
            auch die anderen, eingangsfernen Höhlenteile bis zum Weißen Saal
            wurden bereits in prähistorischer Zeit von Menschen aufgesucht,
            wie eine Spiralplattenfibel der mittleren Bronzezeit (ca. 1.400 -
            1.200 v.u.Z.) und 2500 Jahre alte Fibeln aus dem Früh-Latene belegen.
            Überwiegend aus den letzten 5 Jahrhunderten v.u.Z. stammen überdies
            große Mengen Keramikscherben, welche als Überreste von
            Opferhandlungen zu deuten sind. Welche Bedeutung (Opfer, Grab?) den
            menschlichen Knochen in den nacheiszeitlichen Höhlensedimenten
            zukommt, ist bislang nicht zu klar. 
            
            
            
             |  |  |  | Bisher
            steht fest: in den Höhlensedimenten befinden sich Hinterlassen
            aller Kulturstufen von heute bis zurück zum Neandertaler. Die
            Einhornhöhle ist somit eines der bedeutendsten Kulturdenkmäler
            Deutschlands. Offen bleibt bisher die Frage: Wer hat vor dem
            Neandertaler die Einhornhöhle aufgesucht?
                 |  |  | Ein
            interpretativer Gang durch die Räume der Einhornhöhle 
            
            
            
             Der
            heutige Besucher betritt die Einhornhöhle über einen 1903 zur
            Abraumwältigung angelegten Stollen. Der ursprünglich recht hübsch
            versinterte Weiße Saal war zuvor der hinterste begehbare Teil der Höhle.
            Gleich rechts liegen in einer Trockenmauer zur Ansicht Kiese aus
            einer geologischen Grabung von 1968. Nach Norden führt der von v.
            Alten
            1893 und Jacob-Friesen 1925 freigelegte und jetzt
            verschlossene Hubertus-Gang mit seinen flach anstehenden Schichten
            fluvialer Flussgerölle mit Gsteinen aus höher gelegenen
            Harzregionen . In nordöstlicher Verlängerung der Höhle 
            muss ein ursprünglicher Höhleneingang mit dem Wasserzufluss
            in die Höhle zu suchen sein. Die südliche Verlängerung des Weißen
            Saales ist die Struckmann-Grotte. Interessant sind hier Hinweise auf
            Paläokarst im Dolomit der Firste; auch dürfte diese Grotte dem
            ursprünglichen Hauptkluftverlauf der Einhornhöhle entsprechen. 
            
             Die
            nachfolgende Wolfskammer, benannt nach Funden von Wolfsknochen 
            vor ca. 120 Jahren, vermittelt in den Virchow-Gang. Hier wie
            auch zuvor lassen sich an den Rändern die Reste der Sinterplatte
            und aufsitzender Stalagmiten bzw. derer Reste erkennen. Eine erste
            radiometrische Datierung zu den Sintern veröffentlichten Kempe
            & Rosendahl (1999). Sie wiesen eine 150.000 Jahre umfassende
            Wachstumsphase des Sinters an einem Fundstück aus einer früheren
            Grabung nach und konnten die Detailergebnisse mit der
            Klimageschichte des jüngeren Eiszeitalters vergleichen. Innerhalb
            des Sinterstücks zeigten sich mehrere Schadensereignisse, möglicherweise
            durch drückendes Höhleneis während der Kaltzeiten hervorgerufen. 
            
            
            
            
             In
            der Hexenküche, einer östlichen Seitennische des Virchow-Ganges,
            hat sich ein Decken-„Kolk“ bis 7 m Höhe entwickelt. Diese
            mehrfach in der Höhle anzutreffenden Raumformen gehen auf
            Sickerwasserkorrosion bis in die jüngere Entwicklungsphase der Höhle
            zurück. Der örtlich noch übliche Begriff „Kolk“ knüpft an
            die frühere Theorie turbulent fließenden Wassers in der Einhornhöhle
            an. 
            
            
            
             Beachtenswert
            sind an den Wänden der Gänge die Inschriften, eine der 
            ältesten heißt: „Georg und Paul von Walther 1559“.
            Schon 1583 lieferte der Chronist Johannes Letzner eine sehr exakte Höhlenbeschreibung
            mit der Erwähnung, er habe im (damals) hinteren Teil der Höhle
            zahlreiche Inschriften vieler berühmter Männer gesehen.
            
            
            
             Der
            eindrucksvolle Schiller-Saal misst 8 m Raumhöhe und 35 m Länge. Er
            ist nach einer Schillerfeier 1859 benannt; der Dichter hat die
            Einhornhöhle aber wohl nie betreten. Die Wände des Saales reichen
            fast 20m in die Höhlenablagerungen hinein. Braune Lehme mit
            zahlreichen Knochen und Zähnen großer eiszeitlicher Säugetiere 
            gehen über in grobe Bruchstücke des Höhlendaches, darunter
            rotfarbene lehmige Flussschotter und dann rotbunte Tone. Bis 10 m
            folgt grober Dolomitschutt. Die Ergebnisse der Kernbohrung Einhornhöhle
            1 in der Leibniz-Halle lassen erwarten, dass auch im Schiller-Saal
            die Ablagerungen noch mächtiger sind. 
            Auch wenn der jetzige Hohlraum des Schillersaals demnach
            „nur“ den oberen Teil einer weitaus größeren und höheren Höhle
            darstellt, darf daraus jedoch nicht gefolgert werden, dass zu
            irgendeinem Zeitpunkt ein solch hoher Hohlraum von über 20 m Höhe
            in seiner gesamten imposanten Größe existiert hat. Vielmehr ist
            der - ursprünglich eher kleinere - Hohlraum im Laufe der
            Jahrhunderttausende von unten nach oben durch das Felsgestein
            durchgebrochen. Auch im südwestlich anschließenden Bären-Gang
            sind wieder hohe Decken-„Kolke“ entwickelt. 
            
            
            
             Die
            größte und eindrucksvollste Halle der Einhornhöhle ist die
            Leibniz-Halle. In dieser Halle fanden die meisten Grabungen statt.
            Sie hat sich leicht erkennbar entlang zweier nach Südsüdwesten
            verlaufender Klüfte entwickelt. Teile des Höhlendaches sind
            zwischen diesen Klüften herabgefallen und ruhen innerhalb der mächtigen
            Höhlenablagerungen. Einige Felsen liegen am Südostrand der Halle
            aufgetürmt. Hier zweigt auch der Jacob-Friesen-Gang ab, benannt
            nach dem damaligen Leiter des hannöverschen Provinzialmuseums, der
            ihn als „Bisongang“ 1925/26 freilegte. Nur eine Handbreit unter
            seiner Grabungssohle wurden im Zuge der Grabungen von Nielbock ab
            1985 die ersten altsteinzeitlichen Steinwerkzeuge und begleitend
            mehrere Bärenschädel gefunden. Dieser Gang erwies sich dann als prähistorischer
            Zugang in die Einhornhöhle, sowohl für die hier überwinternde Bären
            und ihre Begleitfauna als auch – jedenfalls im Eingangsbereich –
            für den Menschen vor oder am Beginn der letzten Kaltzeit. 
            
            
            
             Über
            den Hauptgang wird die Blaue Grotte erreicht. Das Licht hier unten
            in der Tiefe des Erdfalls erzeugt einen außerordentlichen Reiz. In
            den südlichen Nischen der Blauen Grotte bewiesen archäologische
            Funde, wie z.B. ein Frauengrab aus der Bronzezeit, die frühgeschichtliche
            Anwesenheit des Menschen. Da zunächst ältere als
            jungsteinzeiltiche Funde nicht auftauchten, wurde früher
            angenommen, dass der Deckeneinsturz erst in der Mittelsteinzeit
            erfolgte. Die Kellergänge unter der modernen Ausgangstreppe enden
            im Blockversturz. Hier und im Westen der von-Alten-Kapelle bestehen
            wohl die besten Chancen, bisher unbekannte Fortsetzungen der
            Einhornhöhle zu finden. Vor dem Einsturz der Blauen Grotte muss der
            dortige Höhlenboden von einer soliden Sinterplatte bedeckt gewesen
            sein. Sie wurde später auf der Suche nach Einhornknochen örtlich
            unterhöhlt. Im Sinter sind eingebackene Knochen und Zähne von Großsäugern
            zu beobachten. 
            
            
            
             Die
            nach dem Oberforstmeister Paul v. Alten benannte „Kapelle“ ist
            der südlichste Raum der Einhornhöhle. Hier besteht die Sohle aus
            mehr als 7 m z.T. verwitterten Dolomitschutt. Ohne Zweifel dürften
            die kiesführenden Schichten auch hier im Untergrund hindurchziehen.
            Die nordwestlich an die von-Alten-Kapelle anschließende
            Martha-Grotte mit dem Bärenkirchhof wurde durch v. Alten 1891
            freigelegt. Sie erwies sich als schachtartiger Zugang während der
            Weichselkaltzeit für die Bären, deren Knochen hier massenhaft und
            z.T. noch im Verband anzutreffen und in ihren höheren Lagen im
            Sinter eingebacken waren. Die flache südliche Fortsetzung der
            von-Alten-Kapelle stellt möglicherweise die Firste eines verfüllten
            Höhlenganges dar, dessen anderes, ebenfalls fossilführendes Ende
            in der kleinen Höhle unter der südlich liegenden Kaiserklippe
            durch v. Alten um 1895 freigelegt 
            wurde. 
            
            
            
             
            
             Die
            Blaue Grotte ist heute der letzte Raum einer Höhlenführung.
            Historisch war er der erste Raum und hat – damals noch über eine
            Holztreppe, zuvor über einen behauenen Eichenstamm zu erklettern
            – die früheren Besucher, am 10. August 1784 auch Goethe,
            fasziniert.   |  |  | Sedimente
            -  der Schlüssel zur
            Landschaft 
            
            
            
             Einer
            der ersten Interpretatoren dieser Höhle und ihrer Umgebung war
            Hermann Löns. Durch verwandtschaftliche Bindungen an die damaligen
            Höhlenbetreiber verweilte er Anfang des 20. Jahrhunderts oft im Ort
            und beschrieb in vielen Aufsätzen die Landschaft rund um die
            Einhornhöhle in ihrem Zusammenspiel von Felsen, Pflanzen und
            Tieren. Die Höhle nahm ihn in den Bann und er formulierte bereits
            präzise seine Eindrücke und Empfindungen in diesem kalten,
            tropfenden und dunklen Felsenloch. Die damaligen Forschungen 
            durch die Rudolf-Virchow-Stiftung sah er eher kritisch, da
            die Grabungen ihm zu ungenau erschienen. Er gab uns aber den Anstoß,
            diese Höhle mit anderen Augen zu sehen. 
            
            
            
            
             Wir
            selbst haben bereits viele Erkenntnisse über die Einhornhöhle
            gesammelt, befinden uns aber erst am Anfang der Erforschung dieser
            teilweise mit 30 m Sediment verfüllten Hohlräume. Aber gerade die
            Sedimente in der Höhle sind der Schlüssel zu einer ganz anderen
            Welt. Die Höhlensedimente erzählen uns die Geschichten längst
            vergangener Landschaften mit ihrem Wandel von Klima, Fauna und
            Flora. Die Einhornhöhle hat diese Zeugnisse vergangener Landschaft
            konserviert. Sie ist somit ein wertvolles Bio- und Geoarchiv.
            Bislang sind wir dabei in eine Zeittiefe von nahezu 200.000 Jahren
            vorgestoßen, der Elster-Kaltzeit. Durch die Tageslichtöffnungen
            wurden immer Böden sowie  Pflanzen-
            und Tierreste in die Höhle hineingespült. Die Fossilliste der
            Einhornhöhle zeigt bislang eine Vielfalt dieser Höhlenfauna auf über
            70 erkannte Wirbeltierarten, darunter über 60 Säugetierarten auf.
            Die Einhornhöhle ist mit dieser artenreichen eiszeitlichen Tierwelt
            eine einzigartige Höhlen-Fundstelle im norddeutschen Raum! Zu
            bedenken ist allerdings, dass allgemein Höhlenfaunen durch
            verschiedenartige Selektion nur bestimmte Tierarten der jeweiligen
            Zeitphasen enthalten, das natürliche Artenspektrum somit nicht
            vollzählig ist. 
            
            
            
            
             Nach
            der Elster-Kaltzeit folgten  wärmeren
            Klimaphasen, wie Funde von Riesenmaulwürfen, Wildkatzen und wärmeliebenden
            Fledermäusen zeigen. Der Neandertaler 
            fühlte sich hier, mit der Höhle im Rücken, bereits im
            Urwald der Eem-Zeit bei nahezu Mittelmeerklima wohl, auch damals
            schon  in Gesellschaft
            von Höhlenbären und Löwen. Vor etwa 100.000 Jahren prägte dann 
            eine Savannenlandschaft mit wechselndem Klima die Gegend, ein
            idealer Lebensraum für den gewaltigen Höhlenlöwen. Tierherden
            zogen durch die flachen Talungen zwischen Harz, Kyffhäuser und
            Solling, vom Felsen über der Einhornhöhle weithin sichtbar: ein über
            Jahrzehntausende hervorragendes Jagdrevier für die Neandertaler!
            Nachfolgend geht die offene Landschaft allmählich in ein 
            Steppenklima über. Löwe und Höhlenbär sind noch dominant,
            vereinzelt finden sich aber auch Knochen eiszeitlicher Wölfe in den
            Schichten.
            
            
               |  |  | Zu den Bären und Wölfen
            gesellen sich aber zunehmend kälteliebende Wühlmausarten wie
            Nordmaus und Schneemaus. Die Landschaft verändert sich und es
            beginnt die lebensfeindliche Hauptvereisungsphase. Höhlenbär, Höhlenlöwe
            und viele andere Tierarten sterben aus, die Schichten sind
            fossilfrei. Es folgen im hangenden Blockschutt Wisente,
            Riesenhirsche sowie Alpenspitzmaus und Lemminge als letzte
            Zeitzeugen der Weichseleiszeit. Schlagartig wechselt das Sediment:
            rotbraune Tone mit Holzkohlen und einer artenreichen Waldfauna des
            Altholozäns. Das starke Auftreten von Schlafmäusen und wärmeliebenden
            Fledermausarten (Myotis
            emarginatus, Myotis bechsteinii) zeigt ein deutlich milderes
            Klima als heute an.
            
             |  |  |  | Darüber liegen überall in der Höhe 
            Sedimente mit u.a. Millionen von Kröten- und Froschknochen
            und Schneckengehäusen: Wir haben unsere Jetztzeit erreicht und können
            hinaus gehen aus der Höhle in den Kalkbuchenwald, ein besonderer
            Biotop der Südharzer Zechsteinlandschaft. 
            Laubmischwälder
            mit Dominanz der Buche auf mäßig trockenen bis frischen,
            karbonatreichen und lehmigen 
            Standorten prägen diese Landschaft. Die Bestände der ökologisch
            sehr wertvolle Dolomitfelsflur zeichnen sich durch eine besonders
            hohe Arten- und Strukturvielfalt aus. Die zum Naturdenkmal
            Einhornhöhle gehörenden Abris (Halbhöhlen), Verwitterungshöhlungen
            und Spalten in den Felsen bieten zudem vielfältige Lebensräume.
            Der Kreis hat sich geschlossen. Mit dem Gang durch die Höhle
            erleben wir nicht nur eine uns sonst verborgene Welt der ewigen
            Dunkelheit, wir machen zugleich eine Zeitreise durch die
            Landschaftsformen der Vergangenheit.   |  |  | Wollen
            Sie mehr wissen? 
            
            
            
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             Die
            Einhornhöhle ist auf der B27/243 über Herzberg, Ortsteil
            Scharzfeld, gut erreichbar; es gibt einen eigenen Waldparkplatz
            etwa 250 m vom Haus Einhorn entfernt, auch für Busse.
            Autobahnabfahrten von der A7 sind von Norden Seesen oder von Süden
            Göttingen bzw. Northeim Nord. Die Höhle ist zudem Wanderziel vom
            Bahnhof 
            Scharzfeld; in nur 20 Min. wandert man auf ausgeschildertem
            Weg zur Höhle. Der Weg zu allen wichtigen Informationen über die
            Einhornhöhle führt auch über das Internet – siehe www.einhornhoehle.de 
            
            
           |  |  | Weiterführende
            Literatur zur Einhornhöhle (Auswahl)
            
            
            
             von
            Alten, P.
            (1907): Die
            Ausgrabungen in der Einhornhöhle bei Scharzfeld (Südharz).
            - Der Harz 2 und 3, 14.Jahrgang: 35-49; 65-75; Quedlinburg. 
            
            
            
             Flindt,
            S.,  Fricke,
            U.,  Hummel, 
            S., Knolle, F., 
            Vladi, F. & Walter, D. (2001): Höhlen im Westharz und
            Kyffhäuser: Geologie, Speläologie, Archäologie.- Hrsgg. v.
            Landkreis Osterode am Harz in Zusammenarbeit mit der
            Arbeitsgemeinschaft für Karstkunde Harz e.V. und dem Thüringischen
            Landesamt für Denkmalpflege. Archäologische Schriften des
            Landkreises Osterode am Harz, Bd. 3.
            
            
            
             Jacob-Friesen, K.-H. 
            (1926): Die
            Einhornhöhle bei Scharzfeld, Kreis Osterode a. Harz. - Führer
            zu urgeschichtlichen Fundstätten Niedersachsens, Nr.2: 34 S., 10
            Abb.; Hannover. 
            
            
            
             Knolle,
            F. (Red.,2004): Die Einhornhöhle.- Unser Harz, 52. Jg., H. 2,
            Clausthal-Zellerfeld
            
            
            
             Löns,
            H.
            (1907): Was
            geht in Scharzfeld vor?. - Heimat, 12/1907: 1-2; Hannover. 
            
            
            
             Nielbock,
            R. (1989): Die Tierknochenfunde der Ausgrabungen 1987/1988 in der
            Einhornhöhle bei Scharzfeld.- Archäologisches Korrespondenzblatt,
            Bd. 19, Mainz
            
            
            
             Nielbock,
            R. (2002): Die Einhornhöhle - Forschungsstand und Perspektiven. -Abhandlungen
            zur Karst- und Höhlenkunde, Tagungsband 8th
            International Cave Bear Symposium, S. 5 -11; München.
            
            
            
             
              Nielbock,
                R. (2003): Die Suche nach dem diluvialen Menschen - oder: 
                
                Die
                Erforschungsgeschichte der Einhornhöhle. - Die Kunde N.F., Bd.
                53, Hannover
                
                
                
                 Paul,
            J. & Vladi,
            F. (2001): Zur Geologie der Einhornhöhle bei Scharzfeld am südwestlichen
            Harzrand.- Bericht der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover, Bd.
            143, Hannover
            
            
            
             Reinboth,
            F. & Vladi,
            F. (1980): Johannes Letzners Beschreibung der Steinkirche und der
            Einhornhöhle bei Scharzfeld.- Harz-Zeitschrift, Jg. 32,
            Braunschweig
            
            
            
             Regionalverband
            Harz e.V. (2003): Landmarke 5 Schloss Herzberg.- Faltblatt zum
            Geopark Harz, Quedlinburg
            
            
            
             Struckmann,
            C.
            (1883): Die
            Einhornhöhle bei Scharzfeld am Harz - Ein Beitrag zur Urgeschichte
            des nordwestlichen Deutschlands. - Archiv Antrhopologie XIV:
            191-234, 3 Taf.; Braunschweig.
            
            
            
             
              Veil,
                S. (1989): Die archäologisch-geowissenschaftlichen Ausgrabungen
                1987/1988 in der Einhornhöhle 
                
                bei
                Scharzfeld, Ldkr. Osterode am Harz.- Archäologisches
                Korrespondenzblatt, Bd. 19, Mainz
                
                
                
                 Virchow,
            R.
            (1872): Über
            bewohnte Höhlen der Vorzeit, namentlich der Einhornhöhle im Harz.
            - Zeitschrift für Ethnologie 4: 251-258; 
            Berlin. (Grabungsbericht).
            
            
            
             Vladi,
            F. (1981): Zum 100. Geburtstag eines Harzer Höhlenforschers –
            Anselm Windhausen – Geologische Untersuchungen in der Einhornhöhle
            in Scharzfeld am Südharz in den Jahren 1905 bis 1907.- Unser Harz,
            29. Jg., H. 10, Clausthal-Zellerfeld
            
            
            
             Anschriften
            der Autoren
            
            
            
             Arbeitsgemeinschaft
            für Karstkunde
            Harz e.V., Dipl.-Geol. Friedhart Knolle, Grummetwiese 16, 38640
            Goslar, Tel. 05321/20281, Fax 43335, fknolle@t-online.de,
            www.fknolle.de
            
            
            
             Gesellschaft
            Unicornu fossile e.V., Dr. Ralf Nielbock, Im Strange 12, 37520
            Osterode am Harz, Tel. 05522/315 93-85, Fax -86, GUF@einhornhoehle.de,
            www.einhornhoehle.de
            
            
            
             Dipl.-Geol.
            Firouz
            Vladi, Düna 9a, 37520 Osterode am Harz 
            05522/71036
            
              
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