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Neuere
Forschungen zur Paläontologie der Höhle
Die Einhornhöhle
ist ein weithin bekanntes Natur- und Kulturdenkmal und zudem die größte
Besucherhöhle im Westharz. Sie befindet sich etwa 1,5 km nördlich
von Scharzfeld im Landkreis Osterode am Harz. Die Höhle hat eine
begehbare Gesamtganglänge von über 600 m. Neben vieler anderer
Besonderheiten bietet diese durch kohlensäurehaltige Bodenwässer
wahrscheinlich bereits im Tertiär entstandene Höhle im
norddeutschen Raum die einmalige Gelegenheit, anhand einer Höhlenfauna
vielseitige Auskunft über die hiesige tierische Lebewelt vom jüngeren
Eiszeitalter bis zur Gegenwart zu erhalten. Jahrhunderte lang wurde
die Höhle von Knochensammlern aufgesucht. Sie
erwies sich als ergiebige Fundstelle für das als Medizin
begehrte Einhorn. Schon 1583 wurde über das Graben nach
"Einhorn-Gebeinen" berichtet, mit denen ein Gewinn
bringender Handel betrieben wurde. Selbst Leibniz, der die Höhle
1686 aufsuchte, glaubte daran, dass es sich bei den Knochenfunden um
Unicornu verum = das wahre Einhorn
handelt. Wie wir heute wissen, waren es nicht Reste von Einhörner,
die in der Höhle gefunden wurden, sondern fossile Knochen des Höhlenbären
und einer Vielzahl weiterer eiszeitlicher Tiere.
Ende des 19.
Jahrhunderts wurde mit intensiven wissenschaftlichen Untersuchungen
der Einhornhöhle begonnen. Trotz der vielen dann folgenden
Ausgrabungen, bei denen auch auf Tierknochen geachtet wurde, war bis
vor wenigen Jahren wenig
über die Vielfalt und das tatsächliche Alter der fossilen Tierwelt
der Einhornhöhle bekannt. Eine
1985 zunächst durch das Geolog. Institut der
TU Clausthal begonnene interdisziplinäre Grabungskampagne
brachte völlig neue Erkenntnisse über die eiszeitlichen Bewohner
dieser Höhle. Erstmals erfolgte eine Sedimententnahme nach
stratigraphischen Abgrenzungen und alle Proben wurden feingeschlämmt.
Tausende von Tierfossilien konnten somit geborgen werden.
Dabei handelt es sich zum einen um Großsäugerknochen von u.a. Höhlenbären,
Wölfen und Höhlenlöwen. Erstmals gelang aber auch der Nachweis
von Kleinsäugern und anderen kleinen Wirbeltieren in nahezu allen
untersuchten Schichten. Neben Säugetierresten fanden sich auch
Knochen von Fischen, Amphibien, Vögeln und Reptilien. Bei den Säugetieren
sind über 50 Arten der Insektenfresser, Fledermäuse, Nager,
Raubtiere, Hasenartigen und Paarhufer vertreten. Viele von ihnen
kommen auch heute noch im Harz vor.
In
den Fundinventaren aller Grabungsstellen
überwiegen aus den pleistozänen Schichten eindeutig
Knochenfunde von Höhlenbären. Ihnen kam schon immer eine besondere
Beachtung zu, vor allem der Entwicklung (Evolutionsphasen)
und Ausbildung ihrer Zähne. Diese zeigen im Gegensatz zu denen
reiner Raubtiere an, dass diese Bärenart sich im Laufe des
Eiszeitalters immer wieder der Umwelt anpasste und mit fortlaufender
Veränderung seines Gebisses vom Fleischfresser weg ein fast reiner
Pflanzenfresser wurde. Der „Einhornhöhlenbär“ steht
hinsichtlich seiner Entwicklung zwischen den primitiven Bären des
älteren Eiszeitalters (Ursus etruscus und Ursus
deningeri) und dem voll entwickelten Höhlenbären in der
Endphase der letzten Eiszeit (Ursus
spelaeus), wie wir ihn vor allem aus Süddeutschland und dem
alpinen Raum kennen. Vergleichbares gibt es nur aus wenigen Höhlen.
Ergänzt
man diese neue Fossilliste der Einhornhöhle um das Material früherer
Grabungen, so erhöht sich die Vielfalt dieser Höhlenfauna auf
bislang über 70 erkannte Wirbeltierarten, darunter über 60 Säugetierarten.
Die Einhornhöhle ist mit dieser artenreichen eiszeitlichen Tierwelt
eine einmalige Höhlenfundstelle im norddeutschen Raum! Es muss
allerdings Folgendes bedacht werden: Alle bisherigen Funde stammen
nur aus den oberen max. zwei Metern Sediment einer, wie Peilstangen-
und Kernbohrung ergaben, stellenweise bis über 30 m mächtigen
quartären Höhlenfüllung. Durch diese Bohrungen wurden die
Dimensionen der Einhornhöhle und ihres potenziellen Fossil- und
auch Artefaktreichtums erst erkennbar. Über
Jahrhunderttausende hinweg erfolgte ein natürlicher
Eintrag von Tierkadavern oder es starben zufällig Tiere in
der Höhle. Für den Besucher der Einhornhöhle bedeutet dies, dass
er beim Gang durch die Höhle auf einem gewaltigen Tierfriedhof mit
Zigtausenden von Großsäugerresten und Millionen von Skeletten
kleiner Wirbeltiere läuft. Deshalb galt diese „Einhorn-Quelle“
auch Jahrhunderte lang als „unerschöpflich“.
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- Neandertaler
in der Einhornhöhle
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- Untersuchungen
im Jacob-Friesen-Gang 1986 – 1988
In
der Pionierzeit archäologischer Forschung des 19. Jahrhunderts
wurden Höhlen als natürliche Wohnorte des Urmenschen angesehen. So
führte der bekannte Arzt und Urgeschichtler Rudolf Virchow schon
1872 erste wissenschaftliche Grabungen in der Einhornhöhle durch,
hier Spuren des eiszeitlichen Menschen zu finden. Seine und
nachfolgende Untersuchungen blieben leider erfolglos. Der damalige
Direktor des Provinzialmuseums in Hannover, Karl-Hermann
Jacob-Friesen, kam diesem Ziel bei seinen Ausgrabungen 1925/26
allerdings recht nahe. Ausgehend von der richtigen Überlegung,
dass die Urmenschen sich eher im Tageslicht ehemaliger Eingänge als
in den dunklen Tiefen der Höhle aufgehalten haben dürften,
entdeckte er bei der Suche nach alten Eingängen den nach ihm
benannten Gang. Er ließ ihn auf über 30 Meter Länge durchgraben,
fand aber weder den erhofften Eingang noch Hinterlassenschaften des
Urmenschen.
Erst
1985 stieß Ralf Nielbock bei paläontologischen Ausgrabungen nach
Tierknochen in diesem Gang zufällig auf wenige Steine, die
eindeutig von Menschenhand bearbeitet sind. Sie lagen nur wenige
Zentimeter unter dem Laufhorizont des gegrabenen Tunnels von
Jacob-Friesen. Nach einer kurzen Untersuchung der Bezirksdenkmalpflege
Braunschweig und des Instituts für Urgeschichte der Universität Tübingen
1986 konnte bei dreimonatigen Grabungen durch das Niedersächsische
Landesmuseum Hannover 1987/1988 eine Reihe neuer Erkenntnisse
gewonnen werden. Diese begrenzten Untersuchungen, die abseits der öffentlich
zugänglichen Höhlenteile stattfanden, konnten einige grundsätzliche
Fragen klären. Zum einen gelang der Nachweis, dass der
Jacob-Friesen-Gang tatsächlich im Freien mündet und möglicherweise
schon am Ende der letzten Eiszeit verstürzte und zugeschwemmt
wurde. Heute ist an dieser Stelle von der ehemaligen Öffnung nichts
mehr zu sehen. In dem engen Tunnel, den die Waldarbeiter 1925/26
durch die Füllung des Jacob-Friesen-Ganges getrieben hatten,
konnten an vier Grabungsstellen weitere bearbeitete Steine, sog.
Artefakte, als untrügliche Hinweise auf die Anwesenheit des
Urmenschen gefunden werden. Um auch millimetergroße Steinsplitter
und Nagetierzähne nicht zu übersehen, wurde das gesamte
ausgegrabene Sediment Eimer für Eimer aus der Höhle in das
nahegelegene Scharzfeld geschafft und durchgeschlämmt. Da die
Steinartefakte in den gleichen schichten wie die Knochen ausgestorbener
Tiere, vor allem des Höhlenbären, liegen und sich mit ähnlichen
Steinwerkzeugen von anderen, genauer datierten Fundstellen
vergleichen lassen, ist es sicher, dass sie älter als 35 000 Jahre
sind.
Ihre
Hersteller waren vermutlich Neandertaler, welche die Höhle
wahrscheinlich in der letzten Warmzeit oder kurz danach vor etwa 100
000 Jahren aufgesucht haben.
Die
Menschen müssen die Steinartefakte von außen in den Gang gebracht
haben. Wahrscheinlich benutzten sie den wiederentdeckten Zugang und
nicht – wie spätere Höhlenbesucher seit der Jungsteinzeit - den
Deckeneinsturz der Blauen Grotte. Der Gang war damals, bevor
Sediment ihn bis knapp unter die Decke verfüllte, mehrere Meter
breit und geräumig, etwa wie der Virchow-Gang, und das Tageslicht
wird sicherlich einige Meter hinein geleuchtet haben.
Die
meisten Artefakte sind aus Quarzit, Tonschiefer und Kieselschiefer
geschlagen, Gesteine, die in der Umgebung der Höhle aufgesammelt
werden konnten (Abb. 2). Wenige Splitter sind aus ortsfremdem
Feuerstein, dessen nächste Vorkommen etwa 30 km entfernt im
Leinetal liegen. Der Neandertaler hat demnach Gesteinsrohmaterial
möglicherweise als fertige Werkzeuge oder präparierte
Abschlagkerne mitgebracht und hier weiterverarbeitet. Im Gang wurden
typische Steinabfälle gefunden, die bei der Steinbearbeitung
angefallen sind. Die Werkzeuge wie Schaber, Spitzen und größere,
regelmäßige Abschläge wurden wohl gleichfalls vor Ort verwendet.
Erwähnenswert sind ferner Hinweise auf
Feuerstellen, was angesichts der Höhlensituation nicht überrascht.
In
den gleichen Erdschichten wie die Steinartfakte wurden viele
Tierknochen geborgen, die meisten von Höhlenbären (Abb. 3). Es wäre
verlockend, sie als Jagdbeutereste des Menschen zu deuten.
Allerdings fehlen bisher Hinweise, dass Mensch und Bär zur gleichen
Zeit in der Höhle waren. Es ist durchaus denkbar, dass beide die Höhle
unabhängig voneinander und aus unterschiedlichen Gründen
aufgesucht haben. Bären haben ja Höhlen regelmäßig als
Winterschlafplätze benutzt.
Welche
Gründe im Einzelnen den Menschen zum Besuch der Höhle bewogen
haben, lässt sich noch nicht rekonstruieren. Vielleicht hat er sich
vorwiegend im Schutz des ehemaligen Eingangs des Jacob-Friesenganges
aufgehalten und nur ab und zu das Höhleninnere aufgesucht. Entgegen
der alten Vorstellung vom „Höhlenmenschen“ gibt es leider kaum
Vergleichsfundstellen, wo Spuren des Neandertalers so tief im Höhleninnern
nachgewiesen wurden. Da die Steinartefakte in geologisch
unterschiedlichen Schichten übereinander liegen, könnte sich der
Besuch des frühen Menschen wiederholt und über einen längeren
Zeitraum erstreckt haben.
So
konnten die neuen Untersuchungen den Nachweis erbringen, dass der
Neandertaler die unterirdischen Harzhöhlen nicht nur kannte,
sondern auch zeitweilig aufsuchte.
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