Mitt.Verb. dt. Höhlen- & Karstforscher, H.36 (2): S. 24-27, 2 Abb.; München 1990.

Die Einhornhöhle-
ein quartärwissenschaftliches Kleinod im Südharz

von R. Nielbock  

Einleitung
In der Nähe der Ortschaft Scharzfeld am südlichen Harzrand befindet sich im Zechsteindolomit - Massiv der "Brandköpfe" die Einhornhöhle, ein bekanntes Natur- und Kulturdenkmal. Sie ist seit langer Zeit Anziehungspunkt von "Knochensammlern" und wird seit mehr als 100 Jahren auch wissenschaftlich erforscht. Die in der Höhle gefundenen Tierknochen wurden bis zum 19. Jahrhundert für Reste des sagenumwobenen "Einhorns" gehalten. Heute wissen wir, dass es sich hauptsächlich um die fossilen Knochen von eiszeitlichen Höhlenbären handelt. Die Einhornhöhle bietet dabei innerhalb des niedersächsischen Raumes die bislang einmalige Gelegenheit, vielschichtige Auskunft über die hiesige pleistozäne Lebewelt anhand einer Höhlenfauna zu zu erhalten.

Forschungsgeschichte
Die Einhornhöhle wurde erstmals 1541 schriftlich erwähnt und bereits 1583, als vor 400 Jahren, berichtete Letzner, ein Einbecker Chronist, über Grabungen in der Höhle nach Einhornknochen. Es folgten im 17. und 18. Jahrhundert einzelne Befahrungsberichte und Beschreibungen der Höhle, so u. a. auch von Goethe. Obwohl Funde in der Höhle bereits 1656 erstmals als Knochen von Menschen, Wölfen und Löwen angesprochen wurden, beschreibt 1686 Leibniz diese weiterhin als "Einhornknochen". Neben diesen frühen paläontologischen Forschungen wurden im 18. Jahrhundert erste Höhlenpläne gezeichnet und erste markscheiderische Vermessungen der Einhornhöhle durchgeführt.

Mitte des 19. Jahrhunderts begann die neuzeitliche, wissenschaftliche Erforschung der Einhornhöhle. Zwischen 1872 und 1907 führten u. a. R. Virchow, Struckmann, v. Alten, Windhausen und Favreau Grabungen in der Höhle durch. Sie wollten vor allem feststellen, bis in welche Zeit die menschliche Besiedlung in der Höhle zurückreicht und die gleichzeitige Anwesenheit von Mensch und Bär nachweisen. Vor allem in der "Blauen Grotte" wurden dabei Artefakte und menschliche Knochen des Neolithikums, der Bronze- und Eisenzeit ausgegraben. Jakob-Friesen setzte 1925/26 die Erforschung der Einhornhöhle umfangreich fort. Im Zusammenhang mit den o. g. Fragestellungen wollte er vor allem nach alten Ausgängen suchen. Der erhoffte Nachweis des "diluvialen Menschen" gelang bei all diesen Grabungen allerdings nicht.

In neuerer Zeit wurden in den Jahren 1956 - 1959 von Meischner und 1968 von Duphorn kleinere paläontologische bzw. geologisch orientierte Grabungen durchgeführt. Duphorn unterlief dabei eine teilweise gravierende Fehlinterpretation der geologischen und stratigraphischen Gegebenheiten vor Ort.

Rein paläontologische Arbeiten zur Einhornhöhle lagen bislang von Rode (1935), der Funde auch aus dieser Höhle in seine Bären-Monographie einbezog, und von Schütt (1968) vor, die vor allem biometrische Messungen an Bärenknochen und -zähnen durchführte.

Viele der früheren Grabungen wurden einerseits von fachlichen Laien oder aber >>Universalforschern<< durchgeführt, die verschiedenste Wissenschaftszweige abdeckten; auch erlaubte verständlicherweise der jeweilige Stand der Forschung keine Resultate heutiger Prägung. Ergebnisse der einzelnen Grabungen sind oftmals nicht korrelierbar, zudem entbehren etliche der früheren Fossilfunde exakter Fundpunkt- und Schichtzuweisungen. Anhand von einigen Beispielen soll hier zudem aufgezeigt werden, wie unterschiedlich die wissenschaftliche Beurteilung der Befunde war.

Bereits anfangs dieses Jahrhunderts hatten einige Erforscher der Einhornhöhle wichtige Erkenntnisse gewonnen, die allerdings später verworfen wurden. So ordneten Windhausen und Hahne schon 1908 die Schichten mit Bärenfauna dem letzten Interglazial zu. Hangende Bänderschluffe (Dolomitaschen) wurden entsprechend als jüngere Sedimentbildung angesehen. Windhausen folgerte auch richtig, nachdem er Flusskiese im Liegenden der Bärenschichten ergraben hatte, dass es ältere Zugänge südlich und nordöstlich der in unserer Zeit bekannten Höhle geben muss. Duphorn (1969) stellte dagegen auch aus stratigraphischen Erwägungen die Bärenfaunaschichten über den Flusskiesen mit diesen zusammen in die Cromer-Warmzeit. Die Kiesablagerungen hielt er - nur auf den Weißen Saal im Nordosten der Höhle beschränkt - für eine Art Flussschlinge der >>Ur- << Oder, einem nahen heutigen Fluss, der die Ortschaft Scharzfeld durchfließt. Die hangenden Dolomitasche-Schichten wurden von Duphorn und auch von Vladi (1984) als elsterzeitlich eingestuft. Einfache Schrumpfungs- und Trockenrisse in diesen und auch anderen Sedimenten wurden von beiden als >>synsedimentäre Eiskeile<< interpretiert.

Auch die bisherige Faunen-Bearbeitung ergab unterschiedliche Ergebnisse. Während Rode den Bären aus der Einhornhöhle für eine eigenständige Rasse hielt und ihr den Namen Ursus spelaeus var. hercynica gab, stellte Schütt, ohne eine genaue Schichtzugehörigkeit berücksichtigen zu können (sie bearbeitete nur museales Material ohne Neugrabung), diese Bärenfunde zusammen mit einer Begleitfauna ins Cromer. Die Einhornhöhlenbären selbst gehören nach Schütt der Art Ursus deningeri an.

Neue Forschungen
Aufbauend auf diesem Forschungs- und Erkenntnisstand über die Einhornhöhle und deren fossiler Fauna nahm der Verfasser selbst zunächst in den Jahren 1984 bis 1986 vor (TU Clausthal, Geolog. Institut) und war danach 1987/88 an der Fortsetzung dieser Grabung durch das Niedersächsische Landesmuseum Hannover, Abt. Urgeschichte, beteiligt. Die Grabungen 1984 - 1988 wurden (in Zusammenarbeit mit dem Landkreis Osterode am Harz, der Uni Tübingen und dem Institut für Denkmalpflege Braunschweig) nach geologischen, paläontologischen und archäologischen Aspekten unter Einbeziehung weiterer Disziplinen der Quartärforschung durchgeführt. Hierbei wurden vor allem erstmals - unter Vorgabe archäologischer Grabungsmethoden - Knochenfunde stratigraphisch gegliedert aus den Höhlensedimenten entnommen.

Die Grabungen der letzten Jahre ergaben eine Fülle an neuen, teilweise sogar überregional bedeutenden Erkenntnissen über die Einhornhöhle, ihre Sedimentfüllung und ihre pleistozänen Bewohner.

Bohrungen/ Speläologie
Durch erste Peilstangebohrungen, mit denen Vladi bereits 1979 versuchsweise begann und die 1985/86 systematisch in Form von Profilreihen fortgesetzt wurden, zeigte sich bereits sehr schnell, dass die Einhornhöhle ein wesentlich größerer Hohlraum ist als bislang angenommen wurde. Bohrungen im weißen Saal erreichten Teufen von über 13 m. Auch in allen anderen Teilen der Höhle wurden oftmals Bohrungen bis zu ca. 10 m in Höhlensedimente hinein niedergebracht, ohne festen Fels zu erreichen. Ein Weiterbohren scheiterte hier nur an den technischen Möglichkeiten der eingesetzten Bohr- und Ziehgeräte. Die Auswertung der Bohrungen ergab, dass tiefer gelegene Sedimentschichten innerhalb der Höhle von NE nach SW abtauchen, während eine hangende Schicht aus Versturzbrekzie mit Fauna (Bärenlehm) von ca. 1 m Mächtigkeit im NE auf über 10 m im SW der Höhle anwächst. Im SW-Teil müssen wir also mit einer Sedimentmächtigkeit von über 25 m rechnen und können somit von sicher 50 000 m3 Sediment unter der heute bekannten Höhle ausgehen. Wir laufen selbst also nur >>im obersten<< Dachboden eines riesigen Speicherhauses ohne Treppenhaus in die tieferen Stockwerke herum.

Mit den Peilstangenbohrungen konnten die bereits Windhausen bekannten Flusskiese auf einer Länge von über 200 m und einer Mächtigkeit von teilweise bis zu 5 m vom NE-Ende der Einhornhöhle (Hubertusgang) bis in die Leibnizhalle hinein nachgewiesen werden. Bei den Grabungen im Weißen Saal (1985) wurde auch in die oberen Bereiche der Flussschotter hinein gegraben. Anhand der Schichtung, Sortierung und Einregelung zeigte sich, dass ein ehemaliges Gewässer als Art Schlammstrom die Höhle von NE nach SW durchflossen hat. Die Datierung dieser Ereignisse ist noch völlig offen, sie müssen aber auf jeden Fall mehr als 100 000 Jahre zurückliegen (s. u.).

Unter Anwendung dieses Bohrverfahrens konnte der Verfasser dann zu Beginn der Grabung 1987/88 auch relativ schnell einen der schon von Virchow (1872), Jacob-Friesen (1925) und weiteren Forschern bislang vergeblich gesuchten ursprünglichen Eingänge der Höhle in östlicher Verlängerung des Jacob-Friesen-Ganges nachweisen. Durch diese Übertage-Bohrungen und einige im Gang angesetzte Bohrungen zeigte sich auch hier, dass der uns heute bekannte Hohlraum Jacob-Friesen-Gang, der künstlich auf ca. einen Meter Breite ins anstehende Sediment gegraben worden war, Teil eines riesigen Höhlengewölbes und -portals ist. Im jetzt wieder entdeckten, schon seit Jahrtausenden verschütteten Eingangsbereich konnte durch die Bohrungen (nachfolgende Außengrabungen ergaben gleiche Schichtung wie im Gang) bislang eine Sedimentmächtigkeit und damit Portaldachhöhe von über 10 m nachgewiesen werden.

Insgesamt lassen die mit doch relativ wenig Aufwand durchgeführten Bohrungen die Morphologie der Einhornhöhle im Inneren des Dolomitmassives der Brandköpfe, das sich nun als ein großporiger "Schweizer Käse" entpuppt, unter ganz neuem Licht erscheinen. Die uns bekannte Höhle mit einem Deckeneinsturz als einzigem natürlichen Zugang ist nur Teil eines wesentlich größeren Höhlensystems mit Iängst verschütteten Eingängen, die wir in Verlängerung der Hauptkluftrichtungen suchen müssen. Unter Einbeziehung weiterer Ergebnisse (vor allem der Lagerungsverhältnisse der Flusskiese) ergibt sich die Möglichkeit eines alten Einganges ca. 500 m von der Höhle entfernt am Fuße der sogenannten Rottsteinklippen.

Auch die Kaiserklippenhöhle, eine in ihrem heutigen Erscheinungsbild niedrige Kleinsthöhle mit einer Gesamtstreckenlänge von nur 10 m und einer Raumhöhe von maximal 1 m, ist mit großer Wahrscheinlichkeit Teil des Großsystems unter den Brandköpfen. Peilstangenbohrungen im Eingangsbereich (1985) wiesen Sedimentmächtigkeiten von über 4 m nach. Die Höhle befindet sich am Fuß der Kaiserklippe, einem Felssporn am SE-Ende des Dolomitplateaus der Brandköpfe, und ist Luftlinie nur ca. 60 m von der von-Alten-Kapelle der Einhornhöhle entfernt in Verlängerung eines kleinen Nebenganges.

Paläontologie / Archäologie
Die Grabungen der letzten Jahre wurden in noch ungestörten, von früheren Grabungsaktivitäten nicht betroffenen Sedimentbereichen vorgenommen. Oberflächlich natürlich anstehendes Sediment fand sich im Bereich der Hauptstrecke nur an der NW-Seite des Weißen Saales. Hier wurden daraufhin 1985/86 drei Grabungsfenster mit 20 Planquadratmetern geöffnet. Bis in eine Tiefe von bis zu einem Meter wurde dennoch zumeist gestörte Verfüllung angetroffen. Das Standardprofil der ergrabenen Schichtenabfolge baut sich folgendermaßen auf (vom Hangenden ins Liegende):

  • obere Sinterbildungen (Bodensinter); holozän; Kleinsäugerreste einer Waldfauna; 0,01 - 0,50 m.
  • Dolomitasche (feinstgeschichteter Dolomitlutit mit Ton  lagen; holozän bis weichselzeitlich (ein 14C-Datum: +/-  25 000 b.p.); vereinzelt Kleinsäugerreste; 0,2 - 0,3 m.
  • untere Sinterbildungen; 0,0 - 0,2m.
  • >>Bärenlehm<< (Dolomitkies / Blockwerk, Sinterbruch, Tonstein, Knochen, Schotter,... in einer mergeligen bis lehmigen Grundmatrix); ?Eem-zeitl.; Großsäuger (Höhlenbär, Wolf, Höhlenlöwe); hier 0,5 - 1,0 m.
  • Tonlagen (rotbraune, gelbbraune und grün-graue z.T. - feinstgebänderte fette Tone); Eem-zeitl. (ThlU-Daten 100 000 bis 130 000 b.p.); Großfauna wie Bärenlehm, übermäßig viele Kleinsäuger, vor allem Myotis emarginarus; 0,2 - 0,5 m.
  • Flußkiese (Porphyre, Kiesel- und Tonschiefer, Quarzite, Grauwacken,... = Hercyn-Schotter); Alter ?; keine Fauna (auch kein Ostracoden-Nachweis) im ergrabenen Bereich (ca. 0,30 m); Gesamtmächtigkeit bis zu 5 m.
Kleinere Suchschnitte wurden in den südwestlichen Nebengängen der Einhornhöhle angelegt. Dort konnte aber oberflächennah nur eine holozäne Fauna sowie eine nacheiszeitliche Begehung nachgewiesen werden.

Das Hauptinteresse der weiteren Grabungsaktivitäten galt dem Jacob- Friesen- Gang. In ihm wurden 1985 bereits beim Anlegen eines ersten Probe- Suchschnittes neben einer reichen Bärenfauna mehrere Artefakte geborgen, neben 3 Abschlägen ein Levallois- Abschlagkern. Dieser Artefakttyp wird dem Mittelpaläolithikum zugeordnet, eine Sensation für die Einhornhöhle! Erstmals gelang der seit langem erhoffte Nachweis einer pleistozänen Begehung der Einhornhöhle. Jacob-Friesen hatte 1925 beim Ergraben dieses Ganges auf über 30 m Ganglänge "nur" 2 Bärenreste gefunden (was allerdings sicher auch an der groben Grabungsmethode lag). Nach diesen Artefakt-Erstfunden wurden in den Jahren 1986 1988 vier verschiedene Grabungsstellen mit insgesamt ca. 8 m2 Grundfläche geöffnet. Neben einer Pleistozän-Fauna kamen hier weitere Artefakte zutage. Auffällig ist dabei ein hohes Aufkommen an kleinen und kleinsten scharfkantigen Abschlägen und Absplissen. Dies zeigt an, dass Artefakte im Bereich des Jacob-Friesen-Ganges selbst oder des heute verschütteten nahen Höhlenportals hergestellt wurden, da auch nach nur kurzem Transportweg ein derartiger Erhaltungszustand nicht mehr gegeben ist. Rekonstruiert man die damalige Lauffläche und die Felsöffnung, so bedeutet dies, dass der Jacob-Friesen-Gang im Bereich der Grabungsstellen zur damaligen Zeit im Tageslichtbereich lag.

Aufgrund der bislang bearbeiteten Fauna der artefaktführenden Schichten und der bisherigen Ergebnisse von Absolutdatierungen können wir momentan das Folgende zur zeitlichen Einstufung der Artefakte innerhalb des Mittelpaläolithikums sagen: Die Fauna setzt sich überwiegend aus Ursus spelaeus (über 90 %) zusammen, bei den Kleinsäugern überwiegend in hangenden Schichtbereichen zunächst Vertreter feucht-kühler Klimate. In liegenden Schichten kommen Waldformen wie Clerhrionomys glareolus hinzu. Die Faunenzusammensetzung liegt im Bereich zwischen Spätsaale, Eem und Frühweichsel. Mehrere Absolutdatierungen in diesen Schichten zeigen bislang Daten zwischen 60 000 und 170 000 b.p. an. Der Mensch, der sich damals in der Höhle aufhielt, gehört somit aller Wahrscheinlichkeit nach einer der Entwicklungsstufen des Neandertalers an.

Einhornhöhle / Harz. Ursus spelaeus Rosenmüller & Heinroth, 1793; obere (p4) und untere (P4) Prämolaren mit deutlich unterschiedlichem Evolutionsniveau 
(Typen 1 und 3 niedriges, primitives Niveau; Typen 2 und 4 komplizierte Formen mit zusätzlichen Höckern und Kämmen); Aufsicht, Maßstab in mm. 

(Grabung Jacob-Friesen-Gang 1987/88; Fotos: Nieders. LM Hannover)

Bei jetzt über 2 m Gesamtprofilhöhe im Gang ergibt sich folgendes Standardprofil für den Jacob-Friesen-Gang (vom Hangenden ins Liegende):

  • Dolomitlutit (gebändert); holozän; artenreiche Wirbeltierfauna; 0,01 - 0,25 m.
  • Schluff (dunkelbraun, hoher Tongehalt); holozän oder   spätweichselzeitl. (ein 14C-Datum: ca. 25000 Jahre); (? holozäne) Waldfauna; 0,05 - 0,3m.
  • Dolomitblockschutt (Matrix Dolomitlutit); weichselzeitl.;   Fauna sehr rar, Einzelfunde von Arvicola terrestris und Ursus spelaeus (jüngste Fundschicht); 0,02 - 0,1 m.
  • Schluff mit Dolomitschutt; weichselzeitl.; zunächst faunenarm, ins Liegende hinein immer arten- und individuenreicher (Ursus spelaeus); ca. 0,75 m.
  • Schluff mit Dolomitschutt, tonig; Frühweichsel bis Eem; Wirbeltierfauna, Artefakte; mind. 1,00 m.
Der Grabungsaushub wurde komplett durchgeschlämmt. Nur dadurch war gewährleistet, dass kleinste Absplisse und Zähne von Kleinsäugetieren nicht verloren gingen. Bei allen Grabungen wurden Proben für zusätzliche bodenkundliche, pollenanalytische, sedimentologische Untersuchungen sowie radiometrische Datierungen entnommen.

Fauna
Bei den Ausgrabungen der letzten vier Jahre konnten für die Einhornhöhle bislang (das Material der Grabung des Niedersächsischen Landesmuseums Hannover ist erst teilweise gesichtet und bestimmt) insgesamt fast 60 Wirbeltierarten nachgewiesen werden. Dabei inventarisierte der Verfasser allein bei seiner Grabung 1985/86 nahezu 10 000 Einzelknochen. Ergänzt man diese Funde um das Material früherer Grabungen, so erhöht sich die Vielfalt dieser Höhlenfauna auf über 70 Wirbeltierarten, darunter über 60 Säugetierarten. Die Einhornhöhle ist damit eine der reichsten Fundstellen des jüngeren Eiszeitalters überhaupt.

Die folgende Übersicht gibt die Funde in gleichalt eingestuften Sedimentschichten der Höhle an, ohne Berücksichtigung der Lage der einzelnen Grabungsstellen (Grabungen Jacob-Friesen-Gang 1985 - 1988, Weißer Saal 1985, Kellergang 1985):

Holozän (frühes Postglazial bis rezent):
Bufo bufo, Rana temporaria, Rana ridibunda; Anguis fragilisl Aves sp.; Erinaceus europaeus, Talpa europaea, Crocidura leucodon, Neomys anomalus, Sorex minutus, Sorex alpinus, Sorex araneus; Rhinolophus hipposideros, Myotis emargina~us, Myotis mysracinus/brandti, Myotis natteren, Myotis bechsteini, Myotis myotis, Pipistrellus pipistrellus, Barbastella barbastellus, Plecotus auritus: Eliomys quercinus, Glis glis, Muscardinus avellanarius, Micromys minutus, CNcetus cricetus, Apodemus sylvaticus, Apodemus flavicolis, Myophus schisricolor /Lemmus lemmus, Clethrionomys glareolus, Arvicola terrestris, Micro~us subterraneus, Microtus arvalis, Microtus agrestis, Felis silvestris, Mar~es martes, Meles meles, Mustela erminea, Lepus europaeus; Bos pnmigenius, Capreolus capreolus, Sus scrofa.

Pleistozän (Weichsel):
Talpa europaea; Microtus oeconomus, Microrus sp., Arvicola terrestris; Ursus spelaeus, Canis lupus, Panthera spelaea; Bison priscus.

Pleistozän (Frühweichsel, Eem):
Pisces indet.; Bufo bufo; Talpa europaea, Sorex araneus-(Gruppe); Myotis ermarginatus, Myotis bechsteini, Myotis daubentoni, Myotis dasycneme. Plecorus auritus; Eliomys quercinus, Glis glis, Apodemus sylvaricus /flavicollis, Microtus nivalis, Microtus arvalis/agresris, Microtus oeconomus. Clerhrionomys glareolus, Arvicola Cantiana-terresrris; Ursus spelaeus, Felis silvestris, Panthera spelaea; Cerviadae indet.

Gestörte Schichtbereiche, alter Grabungsschutt:
zusätzlich: Sciurus vulgans, Dryomys nitedula; Mustela nivalis.

Außengrabungsstellen:
Ursus spelaeus, Canis lupus, Vulpes vulpes; Lepus sp.; Bos/ Bison sp.; Cervus elaphus.

Das Schwergewicht der paläontologischen Untersuchungen lag vor allem in der Bearbeitung des neuen Höhlenbärenmaterials. Die Bären der Einhornhöhle und damit auch die Schichten mit Bärenfauna wurden in einer über 26 Jahre zurückliegenden Arbeit (Schütt 1968) bislang in die Cromer Warmzeit gestellt. Die spezifizierte Auswertung des umfangreichen Bärenmaterials der jetzigen Grabungen ergab dagegen eine Zuordnung des Einhornhöhlenbären zu einem - wenn auch etwas niedrigen - Stadium der spelaeoiden Entwicklungsstufe. Als Vertreter des jüngeren Pleistozäns ist er dem Formenkreis des Ursus spelaeus Rosenmüller & Heinroth, 1793 zuzurechnen. Dies ergab vor allem die Kronenmorphologie der Prämolaren. Neben niedrigen, ursprünglichen (arcoiden) Entwicklungsstufen sind, vor allem bei den Funden aus der Grabung Jacob-Friesen-Gang, vermehrt Morphotypen höherer Entwicklungsstufen mit vielhöckriger Kronenausbildung vorhanden (siehe Abb.). Auch die Formgebung und Größe der jetzt gefundenen 4 Bärenschädel entspricht eher einem spelaeoiden Typ.

Gegen eine Einstufung der Einhornhöhlenbären in ältere Stufen des Pleistozäns sprechen zudem die Begleitfauna und die Absolutdatierungen: In den Bärenschichten konnten neben Durchläufertypen bislang nur jungpleistozäne Tierarten nachgewiesen werden, darunter erstmals auch viele Kleinsäuger. Mittelpleistozäne Formen fehlen darunter bislang völlig. Alle jetzt durchgeführten Th/U-Datierungen zeigen für die Bärenschichten Werte zwischen 40 000 und 170 000 b.p. an und befinden sich somit in der Zeitstufe Weichsel bis Spätsaale.

Auch insitu-Funde von Bärenknochen unmittelbar unter der heutigen Sedimentoberfläche sprechen - gerade in Relation zu der hohen Sedimentmächtigkeit der Höhle - gegen eine Einstufung dieser Funde in die über 500 000 Jahre zurückliegende Cromer-Zeit.
 
 

Grundriss der Einhornhöhle


Ausblick
Die Grabungen der letzten Jahre gaben uns zwar einen überaus gewichtigen, aber dennoch nur kleinen Einblick in den erd- und menschheitsgeschichtlichen Werdegang der Einhornhöhle. Durch die neuen Untersuchungen konnten erstmals eine altsteinzeitliche Begehung durch den Menschen und eine artenreiche Begleitfauna des Bären nachgewiesen werden. Zudem erkennen wir erst jetzt die Dimensionen des Gesamthöhlensystems. Die Grabungen 1985 - 1988 zeigen somit deutlich, dass die Erforschung der Einhornhöhle noch nicht abgeschlossen ist. Gerade durch den jetzigen Erkenntnisstand stellen sich neue Fragen der Höhlengenese, zu Paläontologie und Archäologie der Höhle. Auch für begleitende Quartärwissenschaften wie Bodenkunde und Sedimentologie ist diese Höhle ein breites Forschungsreservat. Zu bedenken ist außerdem, dass wir heute noch keinerlei Aussagen über Alter, Fauna und mögliche archäologische Befundlage der tieferen Sedimentschichten treffen können: ein reiches Betätigungsfeld zukünftiger interdisziplinärer Arbeit.
 

Schriftenverzeichnis
(eine Auswahl von neueren Schriften zur Einhornhöhle)

Hermann, A. & Pfeiffer. D. (Schrlt.; 1969): Der Südharz - seine Geologie, seine Höhlen und Karsterscheinungen. - Jh. Karst u. Höhlenkde., H. 9; München. 

Jacob-Friesen, K. H. (1926): Die Einhornhöhle bei Scharzfeld. Kreis Osterode a. Harz. - Führer zu urgeschichtlichen Fundstätten Niedersachsens, Nr. 2; Hannover. 

Kohnke, H.-G., Nielbock, R. & Veil, S. (1988): Mensch und Tier in   der Einhornhöhle. - Faltblatt zur Einhornhöhle, hrsg. vom Landkreis Osterode am Harz und dem Niedersächsischen Landesmuseum Hannover. 

Kohnke, H.-G. (1988): Ausgrabungen und Funde im Landkreis   Osterode am Harz 1986/87. - Heimatblätter für den südwestlichen Harzrand. H. 44. S. 106. 114 &123. 
Nielbock, R. (1987): Holozäne und jungpleistozäne Wirbeltierfaunen 
der Einhornhöhle/Harz. - Diss. TU Clausthal. 

Nielbock, R. (1989): Die Tierknochenfunde der Ausgrabungen   1987/1988 in der Einhornhöhle bei Scharzfeld. - Archäolog. Korr.-Blatt, 19; Mainz. 

Nielbock, R. (1990): Grabungskampagne Einhornhöhle. - In: Ausgrabungen und Funde im Landkreis Osterode am Harz 1988/89; S. 36 - 41. 

Scheer, A. (1968): Mittelpaläolithische Funde in der Einhornhöhle bei Scharzfeld. - Nachr. Nds. Urgesch., 55, 1 - 39; Hildesheim. 

Schütt, G. (1968): Die cromerzeitlichen Bären der Einhornhöhle bei 
Scharzfeld. - Mitt. Geol. Inst. TH Hannover, H. 7; Hannover. 

Veil, S. (1989): Die archäologisch-geowissenschaftlichen Ausgrabungen 1987/88 in der Einhornhöhle bei Scharzfeld, Ldkr. Osterode am Harz. - Archäolog. Korr.-Blatt, 19; Mainz. 

Vladi, F. (1984): Führer durch die Einhornhöhle bei Scharzfeld am   Südharz. - Herzberg. 

Anschrift des Verfassers 
Dr. Ralf Nielbock 
Landkreis Osterode am Harz 
- Archäologische Denkmalpflege Herzberger Str. 5
3360 Osterode am Harz

 

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