Mitt.VdHK 2/04 München

Einhornhöhle: 

Dr. Rainer Hartmann, Göttingen
 
Leben in  der Dunkelheit - 
die wirbellosen Tiere der Einhornhöhle  

 

Beim Rundgang durch die Einhornhöhle ist nur selten überhaupt ein Tier zu sehen. 
Doch stellt auch eine Höhle einen Lebensraum (Biotop) dar, in dem unterschiedliche Tiergruppen in einer Lebensgemeinschaft (Biozönose) existieren. Die Besonderheiten des Höhlendaseins, die Überlebensstrategien sowie die bislang nachgewiesenen Tierarten werden nachfolgend dargestellt.
 
Besonderheiten des Höhlendaseins
Spätestens nach der Passage des Eingangsstollens sind die typischen Umweltbedingungen einer Höhle hautnah wahrzunehmen. Es ist kalt, feucht und - wäre nicht die künstliche Beleuchtung - auch absolut dunkel. Dies sind die Bedingungen, mit denen die Lebewesen in einer Höhle konfrontiert sind. Die Einhornhöhle weist wie praktisch alle Höhlen in vergleichbarer geographischer Lage und vergleichbarer Meereshöhe eine im gesamten Jahresverlauf nahezu unveränderte Lufttemperatur um + 7 °C auf. Die Luftfeuchtigkeit beträgt nahezu 100 %. Sonnenlicht dringt lediglich in den Eingangsbereichen bei geöffneter Eingangstür und über den großen Deckeneinsturz am Ende der Höhle, der „Blauen Grotte“, einige Meter weit in diese unterirdische Welt ein. Jahreszeitliche Witterungsveränderungen sind für Höhlentiere nur in Eingangsnähe wahrnehmbar. Für die Tierarten, die tiefere Höhlenteile dauerhaft bewohnen, bedeutet dies zunächst, dass sie vor den Unbilden des Winters gut geschützt sind, aber auch, dass der steuernde Einfluß der Witterung (Jahreszeiten) auf die Fortpflanzungsperiodik vollkommen entfällt. Alternativ können möglicherweise mondphasengesteuerte mikroseismische Ereignisse die Paarungsbereitschaft von Männchen und Weibchen einer Tierart synchronisieren, oder die Tiere sind über sehr lange Zeiträume paarungsbereit.
Grüne Pflanzen kommen üblicherweise nur in den  Eingangszonen einer Höhle vor. In der Einhornhöhle befinden sich, bedingt durch den Schauhöhlenbetrieb, Moose und kleinere Farne aber auch im nahen Umkreis der installierten Schauhöhlen­beleuchtung.
Dass Tiere in Höhlen vorkommen, ist bereits seit langem bekannt. Damit sind nicht nur die Höhlenbären und andere landlebende Tiere gemeint, die im Winter oder bei widrigen Witterungsbedingungen Unterschlupf suchen, sondern auch Tiere, die ständig in Höhlen leben.
Bereits im Jahre 1556 unterteilte Georg Agricola die in Höhlen vorkommenden Tierarten in Zufallsgäste, höhlenliebende Arten und echte Höhlentiere. Diese Untergliederung des Bindungsgrades eines Tieres an den unterirdischen Lebensraum gilt in den Grundzügen noch heute. Die Abstufungen zwischen diesen drei Kategorien wurde allerdings weiter untergliedert und umfassender definiert. Im Wesentlichen lassen sich diese drei Kategorien wie folgt definieren:

 

Klasse I: Trogloxene Arten, d.h. Arten, die nur durch Zufall in den unterirdischen Lebensraum gelangen, z.B. durch Hineinfallen in einen Schacht, und dort nicht den gesamten Lebenszyklus überdauern können.
 
Klasse Ia: Eutrogloxene Arten, Teilmenge der trogloxenen Arten. Hierbei handelt es sich um Arten, die u.a. während der Nahrungssuche zufällig einen unterirdischen Bereich aufsuchen, wie z.B. die auf Fledermäusen vorkommenden Flöhe der Familie der Ischnopsyllidae.
 
Klasse Ib: Subtroglophile Arten, gleichfalls eine Teilmenge der trogloxenen Arten. Diese Gruppe sucht unterirdische Biotope gezielt auf, ohne sie während des gesamten Lebens zu bewohnen. Hierbei steht die Nutzung des gewählten unterirdischen Biotopes als „Wohnraum“ im Vordergrund, nicht dagegen die Nahrungs­beschaffung. Klassische Vertreter der subtroglophilen Arten sind der „Höhlenspanner“ Triphosa dubitata, die „Zackeneule“ Scoliopterix libatrix oder die in Höhlen überwinternden Fledermausarten. 
 
Klasse II: Eutroglophile Arten, die über Generationen ein unterirdisches Biotop besiedeln können, aber auch über Tage, z.B. in feuchten, humosen Bereichen, stabile und dauerhafte Populationen aufbauen können. Typische Vertreter hierfür sind z.B. die als „Nestkäfer“ (Cholevidae) bezeichneten Arten Choleva und Catops.
 
Klasse III: Troglobionte Arten, d.h. Arten, deren gesamter Lebenszyklus im subterranen Biotop abläuft. Hierzu zählen auch die ausschließlich im Grundwasser vorkommenden Arten (sog. stygobionte Arten). Außerhalb von subterranen Biotopen sind diese Arten nicht dauerhaft überlebensfähig.
 
Nahrung – Grundlage jeden Lebens
Kein Überleben ohne Nahrung, dies gilt selbstverständlich auch für Höhlentiere. Je nach Art der vorhandenen Nahrung entwickeln sich verschiedene Lebensgemeinschaften, deren Individuenzahl von der Menge der zur Verfügung stehenden Nahrungsmenge begrenzt wird. Bei Schauhöhlen mit einer ausgeprägten Lampenflora können auch weit im Höhleninneren sog. Primärkonsumenten vorkommen, deren Hauptnahrungsquelle die grünen Pflanzen sind. Hierzu zählen z.B. die nachgewiesenen Schneckenarten. Üblicherweise finden sich diese  Primärkonsumenten jedoch nur in der noch lichtbeschienenen Übergangszone der Höhlen, wo ausreichend Licht das Wachstum höherer Pflanzen, Moose und Algen ermöglicht. Wesentlich häufiger ist die räuberische Ernährungsform. Zu diesen sog. Zoophagen gehören die in der Einhornhöhle nachgewiesenen Spinnen. Zu deren Nahrung können auch schon einmal fast ebenso große Tausendfüßler zählen (Abb. 1). Als dritte Ernährungsform finden sich die langläufig als Aasfresser (Saprophage) bezeichneten Tierarten, deren Hauptnahrungsquelle darin besteht, tote organische Substanz (Tierleichen, eingewehtes Laub, Pilzfäden etc.) zu verwerten. Hierzu gehören z.B. die nachgewiesenen Collembolenarten und die sog. Nestkäfer der Gattung Catops. Nahrung kann auch in Form von Organ- oder Zellfragmenten mit dem Tropfwasser in einen Höhlenraum gelangen. In Bergwerken, speziell im Erz- und Kohlebergbau, finden sich zudem noch spezialisierte Bakterien, welche die hier vorhandenen metall- bzw. eisenreichen Sedimente als Energielieferant verwerten können. Diese sog. chemolitoautotrophen Bakterien dienen gleichzeitig wieder höheren Organismen als Nahrung. So kann sich auch in einer Höhle eine kurze, von der Erdoberfläche vollkommen unabhängige Nahrungskette aufbauen, wie sie ansonsten nur am Grunde tiefer Gewässer oder an den Rißstrukturen der Tiefseebecken vorkommen.
Neben dem Nahrungsangebot kommt der Strukturvielfalt einer Höhle, d.h. dem gleichzeitigen Vorkommen von größeren Hohlräumen und engen Spalten, steinigen und lehmigen Höhlenteilen und solchen mit starker Tropfwasserbildung, unterschiedlich feuchten Bodenzonen oder offenen Wasserflächen, eine wesentliche Bedeutung für die Besiedlung zu. Je größer die Strukturvielfalt einer Höhle ist, umso  artenreicher ist auch die Lebensgemeinschaft. Diese sog. Biodiversität wird in untertägigen Lebensräumen also wesentlich  von geologischen und hydrologischen Einflußgrößen gesteuert. Parameter wie Klima, Exposition oder Vegetation sind für die untertägige Lebensgemeinschaft hingegen unbedeutend.
 
Bislang nachgewiesene wirbellose Tierarten in der Einhornhöhle
Die Tierwelt der norddeutschen Höhlen ist besonders an echten Höhlenbewohnern vergleichsweise artenarm. In weiter südlich gelegenen Höhlengebieten finden sich troglobionte Spinnen und Käfer und sogar Heuschrecken. Ursache dieser Artenarmut sind vorrangig die Eiszeiten, die in Norddeutschland nicht nur zum Vergletschern der Bodenoberfläche führten, sondern auch das Wasser in den Höhlen gefrieren ließen oder später die unterirdischen Hohlräume vollständig mit Schmelzwasser fluteten. Während oberirdische Lebensräume durch aktiven Ausbreitungsflug, passiven Transport, z.B. im Gefieder von Vögeln, oder durch Verwehung rasch wieder nach einem solchen Ereignis besiedelt werden können, stellen Höhlen untereinander praktisch nicht vernetzte Inselbiotope dar. So finden sich in verschiedenen Höhlen Norddeutschlands Tierarten, deren gesamtes Vorkommen auf einen einzigen untertägigen Hohlraum beschränkt ist, wie z.B. beim Segeberger Höhlenkäfer (Choleva septentrionis holsatica). Die Schädigung oder Zerstörung einer untertägigen Lebensgemeinschaft stellt somit einen nachhaltigen Eingriff dar, der nur in geologischen Zeiträumen wieder ausgleichbar ist!
Erste systematische Untersuchungen der gegenwärtigen (rezenten) Tierwelt der Einhornhöhle erfolgten im Zeitraum zwischen 1930 und 1945 von Lengersdorf und Mühlmann. Mit automatisch arbeitenden Fanggeräten, sog. Barberfallen, wurde erstmals von Hartmann die Fauna der Einhornhöhle näher erfasst; eine Gesamtveröffentlichung ist in Druck.
Die Tabelle gibt einen Überblick über die bislang in der Einhornhöhle nachgewiesenen Tierarten. Angegeben ist ferner die relative Häufigkeit, der Grad der Höhlenbindung sowie die wesentlichen Nahrungsquellen. Auf die Auflistung von reinen Zufallsgästen, wie z.B. die für Buchenwälder auf Kalk und Dolomit typischen Laufkäfer, wurde der Übersichtlichkeit wegen im wesentlichen verzichtet.
Übersicht der in der Einhornhöhle nachgewiesenen lebenden wirbellosen Tierarten  
 

Tierart

Grad der Höhlenbindung

Häufigkeit des Vorkommens

Mollusca, Gastropoda – Landschnecken

 

 

Arion ater (Linne, 1758)

Ia

L

Carychium minimum (Müller, 1774)

II

L

Arthropoda, Arachnida, Araneida - Spinnen

 

 

Metellina merianae (Scopoli, 1763)

II

L

Meta menardi (Latreille, 1804)

Ib-II

++

Nesticus cellulanus (Clerck, 1757)

II

L

Porrhomma spec.

 

+

Porrhomma microphthalmum (Cambridge, 1871)

II

L

Arthropoda, Arachnida, Acarina - Milben

 

 

Laelaps agilis (Koch, 1839)

Ia

++

Myonyssus gigas (Oudemans, 1912)

II

++

Eulaelaps stabularis (Koch, 1840)

II

+++

Haemogamasus nidi (Michael, 1892)

II

+++

Cyrtolaelaps mucronatus (Canestrini, 1881)

II

++

Euryparasitus emarginatus (Koch, 1839)

II

+

Parasitus loricatus (Wankel, 1861)

II

++

Parasitus oudemansi (Berlese, 1903)

II

++

Parasitus remberti (Oudemans, 1912)

II

+

Parasitus spec.

 

+

Ixodes spec.

Ia

++

Bakerdania bavarica (Krczal, 1959)

 

+

Linopodes motatorius (Linne, 1758)

II

+

Oribella pectinata (Michael, 1885)

II

+

Oribella spec.

II

+

Oppia maritima (Willmann, 1929)

II

+

Acarus gracilis (Hughes, 1957)

Ia

+

Myianoetus dionychus (Oudemans, 1910)

II

L

Rhagidia recussa (Thor.)

II-III

L

Arthropoda, Crustacea, Isopoda - Asseln

 

 

Oniscus asellus (Linne, 1758)

II

L

Arthropoda, Myriapoda, Diplopoda - Doppelfüßer

 

 

Polydesmus angustus (Latzel, 1884)

II

L

Tachypodoiulus niger Leach, 1815

II

+

Arthropoda, Hexapoda, Collembola - Springschwänze

 

 

Onychiurus armatus (Tullberg, 1869)

II

L

Kalaphorura burmeisteri (Lubbock, 1873)

II

L

Lepidocyrtus cyaneus Tullberg, 1871

I-II

L

Arthropoda, Hexapoda, Coleoptera - Käfer

 

 

Catops fuliginosus Erichson, 1837

II

+++

Catops nigricans (Spence, 1815)

II

+++

Quedius mesomelinus (Marsham, 1802)

II

+++

Quedius longicornis Kraatz, 1857

Ia

+

Cryptophagus distinguendus Sturm, 1845

Ia

++

Cryptophagus pilosus Gyllenhal, 1827

Ia

++

Arthropoda, Hexapoda, Siphonaptera - Flöhe

 

 

Rhadinopsylla integella Jord. et Rothsch., 1921

Ia

++

Ctenophtalmus agyrtes (Heller, 1896)

Ia

++

Ceratophyllus mustelae (Dale, 1878)

Ia

++

Arthropoda, Hexapoda, Diptera - Fliegen

 

 

Culex pipiens (Linne, 1758)

Ib-II

L

Camptochaeta ofenkaulis (Lengersdorf, 1925)

III

L

Barborus niger (Meigen)

 

L

Trichocera maculipennis (Meigen, 1818)

II

L

Bradysia forficulata (Bezzi, 1914)

II-III

L

Heleomyza modesta (Meigen, 1838)

II

L

Arthropoda, Hexapoda, Trichoptera - Köcherfliegen

 

 

Stenophylax permistus Mc Lachlan, 1895

Ib

L

Arthropoda, Hexapoda, Lepidoptera - Schmetterlinge

 

 

Scoliopteryx libatrix (Linne, 1758)

Ib

+++

Triphosa dubitata (Linne, 1758)

Ib

+++

      + = Einzelfund, ++ = mehrere Exemplare nachgewiesen, +++ = zahlreich nachgewiesen, L = nur Literaturnachweis

 

Für weiterführende Auskünfte steht der Autor gern zur Verfügung (Dr. Rainer Hartmann, Im Winkel 29, 37077 Göttingen, Hartmann@Hartmann-analytik.de).

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