- Dr. Rainer Hartmann, Göttingen
-
- Leben
in der Dunkelheit -
-
die wirbellosen Tiere der Einhornhöhle
-
-
- Beim Rundgang durch die Einhornhöhle ist
nur selten überhaupt ein Tier zu sehen.
- Doch stellt auch eine Höhle einen
Lebensraum (Biotop) dar, in dem unterschiedliche Tiergruppen in
einer Lebensgemeinschaft (Biozönose) existieren. Die
Besonderheiten des Höhlendaseins, die Überlebensstrategien
sowie die bislang nachgewiesenen Tierarten werden nachfolgend
dargestellt.
-
- Besonderheiten
des Höhlendaseins
- Spätestens
nach der Passage des Eingangsstollens sind die typischen
Umweltbedingungen einer Höhle hautnah wahrzunehmen. Es ist
kalt, feucht und - wäre nicht die künstliche Beleuchtung -
auch absolut dunkel. Dies sind die Bedingungen, mit denen die
Lebewesen in einer Höhle konfrontiert sind. Die Einhornhöhle
weist wie praktisch alle Höhlen in vergleichbarer
geographischer Lage und vergleichbarer Meereshöhe eine im
gesamten Jahresverlauf nahezu unveränderte Lufttemperatur um + 7
°C auf. Die Luftfeuchtigkeit beträgt nahezu 100 %. Sonnenlicht
dringt lediglich in den Eingangsbereichen bei geöffneter
Eingangstür und über den großen Deckeneinsturz am Ende der Höhle,
der „Blauen Grotte“, einige Meter weit in diese
unterirdische Welt ein. Jahreszeitliche Witterungsveränderungen
sind für Höhlentiere nur in Eingangsnähe wahrnehmbar. Für
die Tierarten, die tiefere Höhlenteile dauerhaft bewohnen,
bedeutet dies zunächst, dass sie vor den Unbilden des Winters
gut geschützt sind, aber auch, dass der steuernde Einfluß der
Witterung (Jahreszeiten) auf die Fortpflanzungsperiodik
vollkommen entfällt. Alternativ können möglicherweise
mondphasengesteuerte mikroseismische Ereignisse die
Paarungsbereitschaft von Männchen und Weibchen einer Tierart
synchronisieren, oder die Tiere sind über sehr lange Zeiträume
paarungsbereit.
-
- Grüne
Pflanzen kommen üblicherweise nur in den
Eingangszonen einer Höhle vor. In der Einhornhöhle
befinden sich, bedingt durch den Schauhöhlenbetrieb, Moose und
kleinere Farne aber auch im nahen Umkreis der installierten
Schauhöhlenbeleuchtung.
- Dass Tiere in Höhlen vorkommen, ist
bereits seit langem bekannt. Damit sind nicht nur die Höhlenbären
und andere landlebende Tiere gemeint, die im Winter oder bei
widrigen Witterungsbedingungen Unterschlupf suchen, sondern auch
Tiere, die ständig in Höhlen leben.
-
- Bereits
im Jahre 1556 unterteilte Georg
Agricola die in Höhlen vorkommenden Tierarten in Zufallsgäste,
höhlenliebende Arten und echte Höhlentiere. Diese
Untergliederung des Bindungsgrades eines Tieres an den
unterirdischen Lebensraum gilt in den Grundzügen noch heute.
Die Abstufungen zwischen diesen drei Kategorien wurde allerdings
weiter untergliedert und umfassender definiert. Im Wesentlichen lassen sich diese drei Kategorien wie folgt
definieren:
-
-
- Klasse
I: Trogloxene
Arten, d.h. Arten, die nur durch Zufall in den
unterirdischen Lebensraum gelangen, z.B. durch Hineinfallen in
einen Schacht, und dort nicht den gesamten Lebenszyklus überdauern
können.
-
- Klasse
Ia: Eutrogloxene Arten,
Teilmenge der trogloxenen Arten. Hierbei handelt es sich um
Arten, die u.a. während der Nahrungssuche zufällig einen
unterirdischen Bereich aufsuchen, wie z.B. die auf Fledermäusen
vorkommenden Flöhe der Familie der Ischnopsyllidae.
-
- Klasse
Ib: Subtroglophile Arten,
gleichfalls eine Teilmenge der trogloxenen Arten. Diese Gruppe
sucht unterirdische Biotope gezielt auf, ohne sie während des
gesamten Lebens zu bewohnen. Hierbei steht die Nutzung des gewählten
unterirdischen Biotopes als „Wohnraum“ im Vordergrund, nicht
dagegen die Nahrungsbeschaffung. Klassische Vertreter der
subtroglophilen Arten sind der „Höhlenspanner“ Triphosa
dubitata, die „Zackeneule“ Scoliopterix
libatrix oder die in Höhlen überwinternden
Fledermausarten.
-
- Klasse
II: Eutroglophile Arten, die
über Generationen ein unterirdisches Biotop besiedeln können,
aber auch über Tage, z.B. in feuchten, humosen Bereichen,
stabile und dauerhafte Populationen aufbauen können. Typische
Vertreter hierfür sind z.B. die als „Nestkäfer“ (Cholevidae)
bezeichneten Arten Choleva
und Catops.
-
- Klasse
III: Troglobionte Arten, d.h.
Arten, deren gesamter Lebenszyklus im subterranen Biotop abläuft.
Hierzu zählen auch die ausschließlich im Grundwasser
vorkommenden Arten (sog. stygobionte Arten). Außerhalb von
subterranen Biotopen sind diese Arten nicht dauerhaft überlebensfähig.
-
- Nahrung
– Grundlage jeden Lebens
- Kein Überleben ohne Nahrung, dies
gilt selbstverständlich auch für Höhlentiere. Je nach Art der
vorhandenen Nahrung entwickeln sich verschiedene
Lebensgemeinschaften, deren Individuenzahl von der Menge der zur
Verfügung stehenden Nahrungsmenge begrenzt wird. Bei Schauhöhlen
mit einer ausgeprägten Lampenflora können auch weit im Höhleninneren
sog. Primärkonsumenten vorkommen, deren Hauptnahrungsquelle die
grünen Pflanzen sind. Hierzu zählen z.B. die nachgewiesenen
Schneckenarten. Üblicherweise finden sich diese
Primärkonsumenten jedoch nur in der noch
lichtbeschienenen Übergangszone der Höhlen, wo ausreichend
Licht das Wachstum höherer Pflanzen, Moose und Algen ermöglicht.
Wesentlich häufiger ist die räuberische Ernährungsform. Zu
diesen sog. Zoophagen gehören die in der Einhornhöhle
nachgewiesenen Spinnen. Zu deren Nahrung können auch schon
einmal fast ebenso große Tausendfüßler zählen (Abb. 1). Als
dritte Ernährungsform finden sich die langläufig als
Aasfresser (Saprophage) bezeichneten Tierarten, deren
Hauptnahrungsquelle darin besteht, tote organische Substanz
(Tierleichen, eingewehtes Laub, Pilzfäden etc.) zu verwerten.
Hierzu gehören z.B. die nachgewiesenen Collembolenarten und die
sog. Nestkäfer der Gattung Catops. Nahrung kann auch in Form
von Organ- oder Zellfragmenten mit dem Tropfwasser in einen Höhlenraum
gelangen. In Bergwerken, speziell im Erz- und Kohlebergbau,
finden sich zudem noch spezialisierte Bakterien, welche die hier
vorhandenen metall- bzw. eisenreichen Sedimente als
Energielieferant verwerten können. Diese sog.
chemolitoautotrophen Bakterien dienen gleichzeitig wieder höheren
Organismen als Nahrung. So kann sich auch in einer Höhle eine
kurze, von der Erdoberfläche vollkommen unabhängige
Nahrungskette aufbauen, wie sie ansonsten nur am Grunde tiefer
Gewässer oder an den Rißstrukturen der Tiefseebecken
vorkommen.
-
- Neben dem Nahrungsangebot kommt
der Strukturvielfalt einer Höhle, d.h. dem gleichzeitigen
Vorkommen von größeren Hohlräumen und engen Spalten,
steinigen und lehmigen Höhlenteilen und solchen mit starker
Tropfwasserbildung, unterschiedlich feuchten Bodenzonen oder
offenen Wasserflächen, eine wesentliche Bedeutung für die
Besiedlung zu. Je größer die Strukturvielfalt einer Höhle
ist, umso artenreicher
ist auch die Lebensgemeinschaft. Diese sog. Biodiversität wird
in untertägigen Lebensräumen also wesentlich von geologischen und hydrologischen Einflußgrößen
gesteuert. Parameter wie Klima, Exposition oder Vegetation sind
für die untertägige Lebensgemeinschaft hingegen unbedeutend.
-
- Bislang
nachgewiesene wirbellose Tierarten in der Einhornhöhle
- Die
Tierwelt der norddeutschen Höhlen ist besonders an echten Höhlenbewohnern
vergleichsweise artenarm. In weiter südlich gelegenen Höhlengebieten
finden sich troglobionte Spinnen und Käfer und sogar
Heuschrecken. Ursache dieser Artenarmut sind vorrangig die
Eiszeiten, die in Norddeutschland nicht nur zum Vergletschern
der Bodenoberfläche führten, sondern auch das Wasser in den Höhlen
gefrieren ließen oder später die unterirdischen Hohlräume
vollständig mit Schmelzwasser fluteten. Während oberirdische
Lebensräume durch aktiven Ausbreitungsflug, passiven Transport,
z.B. im Gefieder von Vögeln, oder durch Verwehung rasch wieder
nach einem solchen Ereignis besiedelt werden können, stellen Höhlen
untereinander praktisch nicht vernetzte Inselbiotope dar. So
finden sich in verschiedenen Höhlen Norddeutschlands Tierarten,
deren gesamtes Vorkommen auf einen einzigen untertägigen
Hohlraum beschränkt ist, wie z.B. beim Segeberger Höhlenkäfer
(Choleva septentrionis
holsatica). Die Schädigung oder Zerstörung einer untertägigen
Lebensgemeinschaft stellt somit einen nachhaltigen Eingriff dar,
der nur in geologischen Zeiträumen wieder ausgleichbar ist!
- Erste
systematische Untersuchungen der gegenwärtigen (rezenten)
Tierwelt der Einhornhöhle erfolgten im Zeitraum zwischen 1930
und 1945 von Lengersdorf
und Mühlmann. Mit automatisch arbeitenden Fanggeräten, sog.
Barberfallen, wurde erstmals von Hartmann
die Fauna der Einhornhöhle näher erfasst; eine Gesamtveröffentlichung
ist in Druck.
-
- Die
Tabelle gibt einen Überblick über die bislang in der Einhornhöhle
nachgewiesenen Tierarten. Angegeben ist ferner die relative Häufigkeit,
der Grad der Höhlenbindung sowie die wesentlichen
Nahrungsquellen. Auf die Auflistung von reinen Zufallsgästen,
wie z.B. die für Buchenwälder auf Kalk und Dolomit typischen
Laufkäfer, wurde der Übersichtlichkeit wegen im wesentlichen
verzichtet.
-
- Übersicht
der in der Einhornhöhle nachgewiesenen lebenden wirbellosen
Tierarten
-
-
-
Tierart
|
Grad der Höhlenbindung
|
Häufigkeit des Vorkommens
|
Mollusca, Gastropoda – Landschnecken
|
|
|
Arion
ater
(Linne, 1758)
|
Ia
|
L
|
Carychium
minimum
(Müller, 1774)
|
II
|
L
|
Arthropoda,
Arachnida, Araneida - Spinnen
|
|
|
Metellina
merianae (Scopoli,
1763)
|
II
|
L
|
Meta
menardi (Latreille, 1804)
|
Ib-II
|
++
|
Nesticus
cellulanus (Clerck,
1757)
|
II
|
L
|
Porrhomma
spec.
|
|
+
|
Porrhomma
microphthalmum
(Cambridge, 1871)
|
II
|
L
|
Arthropoda,
Arachnida, Acarina - Milben
|
|
|
Laelaps
agilis
(Koch, 1839)
|
Ia
|
++
|
Myonyssus
gigas (Oudemans,
1912)
|
II
|
++
|
Eulaelaps
stabularis
(Koch, 1840)
|
II
|
+++
|
Haemogamasus
nidi
(Michael, 1892)
|
II
|
+++
|
Cyrtolaelaps
mucronatus (Canestrini,
1881)
|
II
|
++
|
Euryparasitus
emarginatus (Koch,
1839)
|
II
|
+
|
Parasitus
loricatus (Wankel,
1861)
|
II
|
++
|
Parasitus
oudemansi (Berlese,
1903)
|
II
|
++
|
Parasitus
remberti (Oudemans,
1912)
|
II
|
+
|
Parasitus
spec.
|
|
+
|
Ixodes
spec.
|
Ia
|
++
|
Bakerdania
bavarica (Krczal,
1959)
|
|
+
|
Linopodes
motatorius (Linne,
1758)
|
II
|
+
|
Oribella
pectinata (Michael,
1885)
|
II
|
+
|
Oribella
spec.
|
II
|
+
|
Oppia
maritima (Willmann,
1929)
|
II
|
+
|
Acarus gracilis (Hughes, 1957)
|
Ia
|
+
|
Myianoetus
dionychus (Oudemans,
1910)
|
II
|
L
|
Rhagidia
recussa (Thor.)
|
II-III
|
L
|
Arthropoda,
Crustacea, Isopoda - Asseln
|
|
|
Oniscus
asellus (Linne,
1758)
|
II
|
L
|
Arthropoda, Myriapoda, Diplopoda - Doppelfüßer
|
|
|
Polydesmus
angustus
(Latzel, 1884)
|
II
|
L
|
Tachypodoiulus
niger Leach,
1815
|
II
|
+
|
Arthropoda, Hexapoda, Collembola - Springschwänze
|
|
|
Onychiurus
armatus
(Tullberg, 1869)
|
II
|
L
|
Kalaphorura
burmeisteri
(Lubbock, 1873)
|
II
|
L
|
Lepidocyrtus
cyaneus Tullberg, 1871
|
I-II
|
L
|
Arthropoda,
Hexapoda, Coleoptera - Käfer
|
|
|
Catops
fuliginosus Erichson,
1837
|
II
|
+++
|
Catops
nigricans (Spence,
1815)
|
II
|
+++
|
Quedius
mesomelinus (Marsham,
1802)
|
II
|
+++
|
Quedius
longicornis Kraatz,
1857
|
Ia
|
+
|
Cryptophagus
distinguendus Sturm,
1845
|
Ia
|
++
|
Cryptophagus
pilosus Gyllenhal,
1827
|
Ia
|
++
|
Arthropoda,
Hexapoda, Siphonaptera - Flöhe
|
|
|
Rhadinopsylla
integella Jord. et Rothsch., 1921
|
Ia
|
++
|
Ctenophtalmus
agyrtes (Heller,
1896)
|
Ia
|
++
|
Ceratophyllus
mustelae (Dale,
1878)
|
Ia
|
++
|
Arthropoda,
Hexapoda, Diptera - Fliegen
|
|
|
Culex
pipiens (Linne,
1758)
|
Ib-II
|
L
|
Camptochaeta
ofenkaulis (Lengersdorf, 1925)
|
III
|
L
|
Barborus
niger
(Meigen)
|
|
L
|
Trichocera
maculipennis
(Meigen, 1818)
|
II
|
L
|
Bradysia
forficulata (Bezzi,
1914)
|
II-III
|
L
|
Heleomyza
modesta
(Meigen, 1838)
|
II
|
L
|
Arthropoda, Hexapoda, Trichoptera - Köcherfliegen
|
|
|
Stenophylax
permistus
Mc Lachlan, 1895
|
Ib
|
L
|
Arthropoda,
Hexapoda, Lepidoptera - Schmetterlinge
|
|
|
Scoliopteryx
libatrix
(Linne, 1758)
|
Ib
|
+++
|
Triphosa
dubitata (Linne,
1758)
|
Ib
|
+++
|
+
= Einzelfund, ++ = mehrere Exemplare nachgewiesen, +++ = zahlreich
nachgewiesen, L = nur Literaturnachweis
Für
weiterführende Auskünfte steht der Autor gern zur Verfügung (Dr.
Rainer Hartmann, Im Winkel 29, 37077 Göttingen, Hartmann@Hartmann-analytik.de).
|