Goethe im Harz, Sonderausgabe 5 / 2003, S. 9
Harzdruckerei Wernigerode
Abb. rechts:
Der Maler Georg Melchior Kraus zeichnete 1784 als Begleiter von Johann Wolfgang von Goethe den Eingang der Einhornhöhle. 
 

 

Dr. Ralf Nielbock:


Goethe in der Einhornhöhle: 
Keine seltenen Steine - 
dafür eiszeitliche Knochen


Am südwestlichen Harzrand befindet sich in der Nähe der Ortschaft Scharzfeld bei Herzberg die Einhornhöhle, ein weithin bekanntes Natur- und Kulturdenkmal.. Auf der Suche nach dem sagenumwobenen Einhorn war die Höhle jahrhundertelang Anziehungspunkt für Knochensammler, Einhornschürfer und Scharlatanen, die die oberflächennahen Schichten einer insgesamt 15 - 30 m mächtigen eiszeitlichen Sedimentfüllung entsprechend "durchwühlten" und die das "Ergrabene" versilberten.
Die zu Pulver zermahlenen Gebeine des "Unicornu fossile", des ergrabenen Einhorns, waren europaweit als Medizin begehrt. Neben den Knochensammlern war die Höhle von jeher ein gern besuchter Ort von Forschern und Gelehrten, auch berühmte Leute hat die Einhornhöhle schon immer in ihren Bann gezogen. In das 17. Jahrhundert fällt die Blütezeit des Handels mit Einhorn aus dieser Höhle. Der große Naturforscher Leibniz, der die Höhle 1686 persönlich aufgesucht hatte, prognostizierte aber eine baldige Erschöpfung der Knochenvorkommen. Leibniz beschrieb in seiner "Protogaea" (Manuskript ab 1691, posthum 1749 erschienen) die in der Einhornhöhle gefundenen Fossilien ebenfalls noch als Knochen des Einhorns. Dies gab diesen Tiergebeinen dann den Namen Unicornu verum = das wahre Einhorn. Die Funde aus dieser Höhle war daraufhin alsbald bei allen Apothekern gefragt. Es war aber nicht das Unicornu fossile oder gar das, was man in dieser Höhle fand, obwohl selbst Heute wissen wir, dass es sich um fossile Knochen des Höhlenbären und einer Vielzahl weiterer eiszeitlicher Tiere handelt. Über die Natur des Einhorns wie auch die Herkunft der Knochen waren sich über Jahrhunderte hinweg Anwender, Apotheker und Forscher unklar. Erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts wiesen Naturkundler wie der Franzose G. Cuvier, Begründer der Wirbeltierpaläontologie oder der Göttinger Blumenbach, beide gute Kenner der Höhlenfunde, das Einhorn in das Reich der Fabel. 1780 besuchte und zeichnete siebzehnjährig der spätere hannoversche Hofmaler Johann Heinrich Ramberg die Höhle. Aus seiner Feder stammt auch die kopierte Form einer ersten markscheiderischen Vermessung der Höhle. 
1784 unternahm dann Goethe zusammen mit Kraus auf seiner dritten Harzreise einen Abstecher zur Einhornhöhle, ein erneutes unterirdisches Labyrinth, das ihn anzog. Goethe hatte auf seiner ersten Harzreise Harzreise in Rübeland bereit seinen Eindruck von der Harzer Höhlenwelt gewonnen. Im Dezember 1777 nahm er sich 2 Tage Zeit zur Erkundung der um 1536 entdeckten Baumannshöhle mit ihren vielfältigen Tropfsteinbildungen. Er besuchte diese Höhle 1783 dann nochmals.

Auf der dritten Harzreise führte ihn sein Weg von Bad Lauterberg kommend am 10. August Richtung Scharzfeld. In Lauterberg hatte zunächst der Königshütte einen erneuten Besuch abgestattet und dies auch in seinem Geognostischen Tagebuch vermerkt, auch die geologischen Erscheinungen der Zechsteinformation der Südharzgegend nahm er interessiert auf und schrieb sie nieder. Fünf Kilometer westlich von Lauterberg kam er sodann auch zur Einhornhöhle. Das Ergebnis der Befahrung schlug sich aber nur wenig in seinem Reisebericht nieder. Als Gesteinssammler bot sie ihm wenig und die Knochenreste des Einhorns waren im Lehm verborgen. Von Kraus liegen aber Zeichnungen der Höhle vor, auch ihn faszinierte sich die Höhleneingangssituation der oftmals in ein blaues nebeliges Sonnenlicht getauchten Blauen Grotte. Sicher hatte er durch seine in Rübeland gewonnen Eindrücke nur ungenaue Vorstellungen von der Einhornhöhle. Diese sehr alte Höhle ist im Zechsteindolomitfels in einem Kluftspaltensystem vor ca. 2 -3 Millionen Jahren durch Korrosion gewachsen und keine Tropfstein- sondern eine Felshöhle. Zu seiner Zeit war die Höhle zudem ganzflächig mehrere Meter tief von den Einhornsuchern durchwühlt: Ihn bot sich der Eindruck einer glanzlosen Kraterlandschaft. Goethe war gewohnt, Steine und Mineralien aufzusammeln und die Knochen, die er vielleicht für seine Sammlung begehrte, befanden sich in metertiefem Lehm. Zumal galt der Vorrat an Einhornknochen bereits als erschöpft.
Also zog er unverrichteter Dinge weiter nach Osterode. Die heutigen Erkenntnisse über den einzigartigen Kultur- und Naturschatz dieser Höhle gab es damals leider noch nicht. In Erinnerung an den Besuch Goethes in der Einhornhöhle wurde vom damaligen Betreiber, dem Harzklub Zweigverein Scharzfeld, und den Harzer Höhlenforschern am 10. August 1984 in der Blauen Grotte eine Gedenktafel angebracht.
Der Führungsbetrieb durch den Harzklub wurde nach über 90 Jahren im Herbst 2001 eingestellt und die Höhle war danach zunächst geschlossen. Damit die Höhle auch weiterhin besichtigt werden kann, wurde im Juni 2002 ein neuer Höhlenverein, in Ehren an die frühen Erforscher der Höhle "Gesellschaft Unicornu fossile e.V." benannt, gegründet. Der gemeinnützige Forschungsverein hat die Höhle vom Eigentümer, der Realgemeinde Scharzfeld, angepachtet und den Führungsbetrieb zum Saisonbeginn 2003 wieder geöffnet. Es wurde zwischenzeitlich eine neue Konzeption erarbeitet und die Höhle wird nun als Geotop mit den Schwerpunkten Höhlengeologie und Erforschungsgeschichte im Rahmen der geotouristischen Angebote des neuen Geoparks Harz präsentiert. 
Die Höhle ist zukünftig von April bis Anfang November täglich von 10:00 bis 17:00 geöffnet (Winterführungen auf Anmeldung). Die Besucher erkunden in einer fachkundige Führungen mit einer Dauer von ca. 45 Minuten auf den Spuren berühmter Forscher wie Leibniz, Virchow, Löns und nicht zuletzt Goethe die langen Tunnel und großen Hallen der Einhornhöhle. 

Abb.1: Einhornhöhle bei Scharzfeld: Blaue Grotte (roter Pfeil: Goethe-Tafel)

 

Abb. 2: Einhornhöhle bei Scharzfeld: Goethe-Gedenktafel 

 

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