Beitrag aus:
FELDMANN, L. & LOOK,
E.-R. (Red.) (2006):
Faszination Geologie
-
Die bedeutendstens Geotope Deutschlands.
- Hrsg. Akademie der
Geowissenschaften zu Hannover:
179 S.; Stuttgart
(Schweizerbart).
[Fascinating Geology. The
most important geological landmarks in Germany.]
ISBN 3-510-65219-3
gebunden, EUR 39.00
Ralf Nielbock, Heinz-Gerd Röhling & Firouz
Vladi:
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Am
Harzrand von Seesen bis Eisleben findet sich eine in Deutschland einmalige
Landschaftsform aus weißem Gipsgestein
und schroffen Dolomitklippen.
Die hohe Löslichkeit des Gipses (Kalziumsulfat)
bildet in einem wenige
Kilometer breiten Streifen eine
Landschaft, in der alle Formen des Karstes auf engstem Raum erwandert
werden können. Gips
bzw. Anhydrit (kristallwasserfreie Variante) kommen in einer bis zu 200 m
mächtigen unteren Schicht und in zwei höheren geringer mächtigen
Schichten am westlichen und südlichen
Harzrand an die Oberfläche. Die Gesteine sind während der
Zechstein-Zeit in einem Meer entstanden, das unter heiß-trockenen
Klimabedingungen vor etwa 250 Mio. Jahren weite
Teile des heutigen Mitteleuropas bedeckte.
Dabei verdunstete in
mehrfach sich wiederholender Folge Meerwasser.
Die im Wasser gelösten Stoffe fielen chemisch aus und reicherten sich
gesteinsbildend am Meeresgrund an. Auf Untiefenzonen wuchsen Riffe aus
Kalkalgen und Moostierchen dem Licht entgegen; noch heute
überragen sie als harte Kuppen die Umgebung.
Mitteleuropa lag damals auf der geographischen Breite der Kanaren und
wandert seither infolge der Kontinentalverschiebung nordwärts. Die
heutige Landschaft am Südharz mit ihren steilen Hängen und tiefen
Talebenen ist von den letzten Jahrhunderttausenden des Eiszeitalters
geprägt. Während der Warmzeiten führten saure Regen- und Grundwässer
zur An- oder Auflösung der Gesteine, in den Kaltzeiten verhinderte
tiefgründiger Dauerfrostboden diese Verkarstung. Die Lebensdauer von
Karstformen im Gips ist kurz, die sichtbaren Gipshöhlen, Erdfälle und
Quellen entstammen der gegenwärtigen Warmzeit, sind also jünger als
12.000 Jahre. Die Flüsse haben die früheren Meeresablagerungen Schicht für
Schicht frei gelegt und im Laufe des Eiszeitalters diese Schichtstufen der
leicht nach Süden abtauchenden Gips- und Dolomitlager zurückverlegt. „Karst“
ist ein Wort Kroatiens und beschreibt Gebiete mit dem Vorwiegen
einer unterirdischen Entwässerung.
Regen läuft nicht (mehr) oberirdisch ab und die Flussbetten liegen die
meiste Zeit des Jahres trocken. Ursache ist das Vermögen bestimmter
Gesteinsarten, sich in Wasser aufzulösen: Kalk, Dolomit, Gips und
Steinsalz. In den meisten Karstgebieten ist es Kalk, hier am Südharz
jedoch neben Dolomit vor allem der Gips. Dieser vermag sich gegenüber
Kalk um das 100-fache leichter aufzulösen:
Zwei Gramm Gips werden in einem Liter Regen- oder Grundwasser gelöst!
Ausreichende Niederschläge begünstigen die rasche Verkarstung. Typisch
für die Karstentwässerung ist die Bildung von leistungsfähigen Quellen.
Über Karstquellen wie in Förste (Schüttung 12 Mio. m³/a) fließt das
mit aufgelöstem Gestein beladene Grundwasser oberirdisch ab. Die
Rhumequelle südlich von Herzberg ist mit ca. 62 Mio. m³/a Schüttung
eine der ergiebigsten Karstquellen Mitteleuropas. Aus dem Hauptquelltopf
mit einem Durchmesser von ca. 20 m und den Nebenquellen fließen der Rhume
im Mittel 2000 Liter je Sekunde zu. Neben anderen wie dem Salza-Spring bei
Nordhausen führen
alleine diese beiden großen Quellen so jährlich etwa 50.000 Tonnen Gips
sowie 20.000 Tonnen Kalk und Dolomit aus dem Südharz und über die Weser
bis in die Nordsee! Unzählige
Hohlräume in Tiefen zwischen 10 und 200 m prägen den Untergrund der
Landschaft. Viele davon stürzen ein und hinterlassen Einsturztrichter an
der Oberfläche,
wo sie den unterirdischen Karst markieren. Im Kreis Osterode konnten
10.000 solcher Erdfälle gezählt werden! Jährlich kommen bis zu zehn
Neue dazu. Ohne
Vegetation würde der Südharz einer Kraterlandschaft gleichen. Das
Karstgrundwasser ist reich an gelösten Stoffen und wird deshalb in Förste
als Mineralwasser abgefüllt. Das
„Pöhlder Becken“ bei Herzberg, eine große schottergefüllte
und von verkarstetem Gips- und Dolomitgestein unterlagerte Talebene,
wird für die regionale Trinkwasserversorgung genutzt. Im Untergrund
verbinden langgestreckte Karsthohlräume die Versinkungsstellen am
Harzrand mit der Rhumequelle. Die meisten Fließgewässer verlieren dort,
wo ihr Lauf den Harzrand mit den verkarsteten Gesteinen quert, ihr Wasser
in den Untergrund. Neben
der Rhumequelle ist die sagenumwobene Einhornhöhle auch als
GeoPark-Infostelle zentraler touristischer Anlaufpunkt in den überregionalen
Karstwanderweg eingebunden. Die bei
Scharzfeld gelegene Höhle ist neben der nahen Steinkirche die einzige
begehbare Naturhöhle im Zechsteindolomit, entstanden vor bereits über
5 Mio. Jahren in der ausgehenden Tertiärzeit. Im Eiszeitalter wurde die Höhle
mit bis zu 30 m mächtigen Ablagerungen aus Lehm, Ton, Dolomitsand und
Schottern angefüllt. Heute sind sie wertvolle konservierte Geo-Archive.
Die Einhornhöhle wurde über Jahrzehntausende von Höhlenbären, aber
auch von Höhlenlöwen, Hyänen und eiszeitlichen Wölfen, die allesamt
auch ihre Beute in die Höhle hineingeschleppt haben, aufgesucht. Die
Knochen verendeter Tiere bleiben in einer Dolomithöhle erhalten: ein
gigantischer Tierfriedhof! Mit bislang 70 bestimmten
Wirbeltierarten bietet sie eine einmalige Gelegenheit, Auskunft über die
tierische und menschliche Lebewelt Norddeutschlands während des
Eiszeitalters und zu Beginn der Jetztzeit zu erhalten.
Jahrhunderte
lang wurde hier von berühmten Forschern wie Goethe, Leibniz, Virchow und
Löns nicht nur nach dem vermeidlichen Einhorn, sondern auch dem
eiszeitlichen Menschen gesucht. Erst vor wenigen Jahren wurde ein großes
verfülltes, ehemals von Neandertalern genutztes Höhlenportal mit einer
„Steinwerkstatt“ entdeckt. Das
gut erschlossene Hainholz bei Düna ist ein weiteres Highlight dieser
Landschaft. Hier zeigt sich der nackte Karst, also nicht mit anderen
Bodenarten bedeckter Gips. Auf engstem Raum kommt die Fülle karstgeologischer,
hydrologischer, Vegetations- und Nutzungsformen dieses einzigartigen
Landschaftstypus vor. Der Hainholz-Rundwanderweg, Teilabschnitt des
Karstwanderweges, zeigt Erdfälle, Karstteiche, Schlotten, geht vorbei
an einer Karstquelle und am Mundloch der früher viel besuchten Jettenhöhle.
Seit der letzten Eiszeit ein nie gerodetes Waldgebiet, hat das Hainholz
die Fülle der Pflanzen- und Tierarten Südharzer Kalkbuchenwälder
bewahren können. Eine
Kuriosität auf dem Karstwanderweg sind die Quellungshöhlen am
Sachsenstein zwischen Bad Sachsa und Walkenried, im Volksmund Zwergenlöcher
genannt. Sie verdanken ihre Entstehung einer Volumenzunahme durch Umwandlung
von Anhydrit in Gipsgestein
an der Oberfläche. Es bilden sich kleine Höhlen von bis zu 8 m Länge,
die binnen weniger Jahrzehnte auch schon wieder verfallen. Laubmischwälder
mit Dominanz der Buche auf mäßig trockenen bis frischen, karbonatreichen
und lehmigen Standorten prägen das
bewegte Karstrelief am Südharz.
Die Bestände zeichnen sich durch eine besonders hohe Arten- und Strukturvielfalt
und eine ökologisch sehr wertvolle Dolomitfelsflur aus. Flachgründige
Böden auf Gips und Dolomit wurden seit jeher mit Ziegen oder Schafen
abgehütet, hier breiteten sich Pflanzen- und Tierarten der südosteuropäischen
Steppen auf orchideen- und enzianreichem Magerrasen aus. Typische Tiere
sind Eidechsen auf den
warmen Felsen, Steinkäuze und Uhus an Felswänden, Amphibien wie Kröten
und Feuersalamander in den feuchtkühlen Schluchtwäldern und
Erdfall-Teichen sowie Dachse und Fledermäuse in den Höhlen. Vom
Kupferschiefer, der ältesten und zugleich metallhaltigen
Zechstein-Schicht, zeugen noch viele Bergbaupingen und –halden sowie
das Besucherbergwerk Wettelrode. Besonders Dolomit
und Gips sind früher wie heute wertvolle Bau- und Industrierohstoffe.
Kirchen und viele alte Wohn- und Wirtschaftsgebäude sind mit Werksteinen
aus Dolomit und Anhydrit sowie Gipsmörteln und –putzen errichtet.
Die Ausstellung in der Gipshöhle Heimkehle bei Uftrungen gibt dazu einen
Querschnitt. Die
Gesteine des Zechsteinmeeres sind in dieser Mächtigkeit und Ausprägung
in Deutschland sonst nicht weiter erlebbar. Deshalb hat der Südharz in
der naturwissenschaftlichen Forschung seit jeher einen hohen
Stellenwert als Geotop-Ensemble auf kleinem Raum. Der Karstgürtel bildet
als markante geologische Einheit die Südgrenze des Geoparks Harz. |
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